Willkommen bei KPÖ Wien Tuesday, 28. December 2021 @ 18:44

Wie die Fahne des "12. Februar"-Bataillons nach Österreich kam

  • Wednesday, 2. November 2016 @ 11:54
Wie jedes Jahr wurde am 1. November auch der InterbrigadistInnen, die in Spanien gegen den Faschismus kämpften, gedacht.

Irene Filip von der "Vereinigung österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik" erinnerte in ihrer Rede an die österreichischen TeilnehmerInnen der Internationalen Brigaden und sie schilderte, ausgehend von einem Text von Max Stern aus dem Jahre 1966, wie die Fahne des "12. Februar Bataillons" nach 1945 nach Österreich kam. Hier der Bericht von Max Stern:


Hell leuchten noch immer die Farben Rot-Gelb-Violett, die Farben der spanischen Republik, die Farben der Fahne der XI. Brigade. An vielen Stellen ist die Seide liebevoll ausgebessert. An die drei Jahrzehnte ist es her [der Text wurde 1966 verfasst], daß Madrider Frauen die Fahne nähten und stickten. Harte Schlachten hat sie erlebt und einen gefahrvollen Weg zurückgelegt, den Weg der österreichischen Spanienkämpfer. Dem „12.-Februar“-Bataillon wurde sie für seine Leistungen zuerkannt, und Frauen und Männer haben die Fahne geschützt, in der Illegalität und im Konzentrationslager, bis sie zu den österreichischen Freiheitsbataillonen in Jugoslawien und mit ihnen in die Heimat kam.

Als die österreichischen Interbrigadisten im Februar 1939 in Katalonien die letzten Rückzugsgefechte liefern, ist die Fahne dem Wiener Ferdinand B. [Barth] anvertraut. Als Funktionär der internationalen Gewerkschaftsbewegung der Seeleute hat Ferdl viel Erfahrung in schwierigen Situationen. Er wickelt sich die seidene Fahne um den Leib, zieht die Uniform darüber und ist überzeugt, daß sie so am besten geschützt und am leichtesten über die französische Grenze zu bringen ist. Im Lager St. Cyprien näht er sie zwischen zwei Decken ein. Dann geht die abenteuerliche Reise der Fahne der XI. Brigade weiter nach Gurs, nach Argelès, wo ein neues Kapitel ihrer Geschichte beginnt.

Nach der Niederlage Frankreichs befindet sich ein Zentrum der österreichischen Kommunisten in Toulouse. Sie benachrichtigen die Österreicher im Lager Argelès, einen Verantwortlichen zu wichtigen Besprechungen in die Stadt zu schicken. Das wird rasch organisiert. Ein spanischer Chauffeur bringt den „schwerkranken“ Max St. [Stern] mit einem Ambulanzauto zur Bahnstation. Diesmal ist die Fahne nicht mehr in Decken, sondern in den Mantel des „Patienten“ eingenäht. Der rutscht ohne Papiere bei der Eisenbahnfahrt durch und kehrt einige Wochen später wieder ins Lager zurück. Um unbemerkt zu seinen Kameraden zu kommen, muß er weit ins Meer hinaus schwimmen, aber der Fahne kann nichts mehr geschehen: sie ist in guter Hut in Toulouse.

Dort wohnt in einem der alten Häuser die Wienerin Mali F. [Fritz]. Sie hat von Frankreich aus der spanischen Republik geholfen und ist aktives Mitglied der Widerstandsbewegung. Zu ihr bringt Gerti Sch. [Schindel], die im österreichischen Spanienhilfskomitee gearbeitet hat, eine gelblichweiße, blau gestreifte Decke, eingefaßt mit einem blauen Seidenband. „Gib gut auf sie acht“, sagt Gerti, „bis ich sie wieder abholen komme.“ Mali erkennt sofort, daß in diese merkwürdige Decke irgend etwas eingenäht ist und denkt sich ihren Teil. Ein paar Tage später werden beide Frauen verhaftet. Die Decke mit dem blauen Seidenband bleibt in Malis Zimmer.

Es ist Herbst 1940, und eine große Verhaftungswelle geht dem Prozeß gegen österreichische Widerstandskämpfer vor einem französischen Militärgericht in Montauban voraus. Unter dem Vorwand, sich ein paar Sachen zu holen, darf Mali unter Polizeiaufsicht noch einmal in ihr Zimmer, und dabei gelingt es ihr, die Decke ins Gefängnis zu schmuggeln. Nach einer langen Einvernahme, bei der sie und Gerti standhaft alles leugnen, was man ihnen vorhält, erstarren beide auf dem Rückweg zu ihren Zellen vor Schreck: über dem Stiegengeländer hängt die Decke. „Jetzt sind wir geliefert“, flüstert Gerti der Freundin zu. „In der Decke war die Fahne der XI. Brigade eingenäht, und sie haben sie bestimmt gefunden.“

Die Sache geht besser aus als gefürchtet, denn die Frau des Gefängniswärters hat die Decke nur zum Lüften ausgehängt und nicht bemerkt, was Franzi G. [Gruber] so sorgsam eingenäht hatte. Gerti und Mali werden beim Prozeß zwar freigesprochen, kommen aber in ein Konzentrationslager im Departement Lozère.

Ohne um Entlassungspapiere anzusuchen, verschwindet Gerti nach einiger Zeit aus dem Lager und gibt die Nachricht weiter, daß die Decke mit dem kostbaren „Zwischenfutter“ bei Mali geblieben ist. Am Heiligen Abend des Jahres 1941 fällt dichter Schnee. Unendlich vorsichtig kriecht eine junge Frau, mit Holzschuhen an den Füßen und eingewickelt in einen dicken Umhang, bergauf zum Stacheldraht. Wird sie durchkommen? Der Schnee dämpft das Geräusch, die Wachen nehmen es in dieser Nacht nicht so genau. An der verabredeten Stelle hilft der „Spaniak“ Fritz W. [Weiss], der die Verbindung zu den Lagern hält, Mali durch den Draht und übernimmt von ihr in einem kleinen Haus bei Freunden die Fahnen-Decke. „Rasch, rasch“, drängt Mali. Vor der Nachtkontrolle muß sie unbemerkt zurück ins Lager, sonst könnte bei der Suche nach ihr die Fahne gefährdet werden. Und nach einiger Zeit erhält sie einen Brief: „Carmen ist gut angekommen und wird jetzt aufs Land fahren, um sich zu erholen.“ Die Fahne ist in Freiheit!

Aber noch ist ihr Weg weit, und sie muß oft den Standort wechseln, denn die Deutschen haben inzwischen ganz Frankreich besetzt. Sie geht durch die Hände des Spanienkämpfers Harry S. [Spiegel] in Marseille, wird von Fritz Steppat gehütet, den später die Gestapo ermordet. Sie bekommt von der Genossin Marianne A. [Acht] ein so kunstvoll geschneidertes Kleid, daß die Tarnung den peinlichsten Haussuchungen standhält. Ende 1942 wandert sie mit Genossen, die zum Widerstandskampf nach Nordfrankreich gehen, von Marseille nach Lyon, wo Paul K. [Kessler] sie übernimmt. Im Juni 1944 verhaftet ihn die Gestapo. Er lernt die fürchterlichsten Folterungen und die Gefängnisse von Lyon, von Fort Mont Luc, die unterirdischen Bunker kennen. Er spricht kein Wort. Doch ihn quält der Gedanke, ob die Fahne von der Gestapo gefunden wurde. Beim Transport vom Gefängnis Fresnes bei Paris zum Konzentrationslager Buchenwald gelingt es Paul, gemeinsam mit einem Österreicher und acht Franzosen, nahe der belgischen Grenze aus dem Eisenbahnwaggon zu flüchten. Es ist Ende August, die Alliierten sind schon längst in Frankreich gelandet, aber Paris, das die Männer zu erreichen suchen, wird immer noch von den Deutschen gehalten. Knapp vor der Stadtgrenze stoppen deutsche Soldaten den Lastwagen der Geflüchteten. Während Stunden, die sich wie Jahre dehnen, stehen Paul und seine Kameraden mit dem Gesicht zur Wand und warten auf ihre Erschießung. Das Herannahen französischer Partisanentrupps rettet ihnen das Leben.

Oktober 1944. Paul hat die Verbindung mit seinen österreichischen Freunden wieder gefunden und fährt nach Lyon, um die Fahne zu suchen. Alles in der Wohnung ist zertrümmert und verwüstet, doch in einem Winkel liegt die Doppeldecke: Die Gestapo hat sie nicht bekommen!

Als im Jänner 1945 eine Gruppe österreichischer Widerstandskämpfer von Marseille nach Jugoslawien fährt, um von dort aus den Kampf um die Befreiung der Heimat fortzusetzen, trägt der Spanienkämpfer Zalel Sch. [Schwager] die Fahne der XI. Brigade bei sich, und mit den österreichischen Freiheitsbataillonen erreicht sie endlich Wien.

„EI frente popular de Madrid – al frente popular del mundo“ – „Die Volksfront von Madrid – der Volksfront der Welt“ haben vor drei Jahrzehnten Madrider Frauen in die Fahne gestickt. Für die Männer des Bataillons „12. Februar“, für die österreichischen Spanienkämpfer ist diese Losung nicht nur Erinnerung. Sie ist auch Mahnung für heute. Noch regiert der Faschismus in Spanien. Die Einheit aller Antifaschisten, aller Demokraten, aller Freunde des Friedens ist das Gebot der Stunde! Auch in Österreich!

Aus: Max Stern, Spaniens Himmel ... Die Österreicher in den Internationalen Brigaden, hrsg. von den Proponenten der „Vereinigung österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936–1939 und der Freunde des demokratischen Spanien“, Wien 1966, S. 120–124.