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Über den österreichischen Faschismus im 21. Jahrhundert

  • Friday, 12. February 2021 @ 09:56
Antifaschismus Die meisten Menschen, die sich - wenn überhaupt - mit der Zwischenkriegszeit auseinandersetzen, stoßen auf eine Erzählung von zwei verhärteten Fronten. Zwei Fronten deren größter Fehler es angeblich war, der Gewalt nicht abgeschworen zu haben.

In der Schule lernen wir von zwei Seiten eines Konflikts, die sich einfach nicht vertragen konnten. Wir lernen, dass wir beide Seiten verstehen müssten, als wären wir Außenstehende.

Ich war dreißig, als ich beim Streben nach einem besseren Schulabschluss eine Abendschule besucht hab und dort nach fast 15 Jahren zum ersten Mal wieder Geschichtsunterricht hatte. Gemeinsam mit 18jährigen, die das Thema kaum besser verstehen konnten als ich beim ersten mal, als mir die Lehrerin (es war sogar die gleiche) vom sogenannten Bürgerkrieg erzählte. Ich frag mich immer, ob es ein Bürgerkrieg ist, wenn der Staat gegen Teile der Bevölkerung kämpft.
Die Februarkämpfe waren ein Krieg des staatlich unterstützten Faschismus gegen den Widerstand.

Ich war dreißig und schon über zehn Jahre lang relativ linksradikal, als ich endlich verstand, dass ich auf einer der beiden Seiten stehe. In eigener Sache, aber auch ohne wirklich eine Wahl zu haben.

Ich stehe im Visier der Faschist_innen und bekomme das am Arbeitsplatz zu spüren. Ich stehe auf einer der beiden Seiten aus politischer Überzeugung, wegen meiner gesellschaftlichen Position als Kommunistin und als nichtbinäre trans Frau.

Ich stehe auf dieser Seite wie mein Opa, sein Bruder, deren Vater und ihr Großvater, der in Mödling aktiv an der Entstehung von Gewerkschaften mitgewirkt hat.

Im Februar 1934 haben österreichische Paramilitärs gemeinsam mit der staatlichen Armee den antifaschistischen Widerstand in Österreich zerschlagen. Genau so wenig wie sich Antifaschismus heute auf Sportgruppen beschränkt, reden wir auch beim Antifaschismus der dreißiger nicht nur von Wehrturner_innen, wenn wir antifaschistischer Widerstand sagen. Wir reden von Bildungseinrichtungen, regelmäßigen Treffen, Freundschaften.

Wir reden von Strukturen, die schon in den 20ern nötig war und wo sich alle fragen:
Ja wo war denn der Widerstand gegen die Nazis in den Vierzigern?

Naja. Dieser Widerstand wurde ab 1933 in Lagern wie Wöllersdorf zerschlagen, 1934 auf offener Strasse zerschossen und was davon übrig blieb ist 1936 in Kämpfen gegen spanische und deutsche Faschisten gefallen.

Wenn wir über die Zwischenkriegszeit lernen, lernen wir von einer Eskalation im Jahr 1927, als wir den Justizpalast abgefackelt haben. Wir lernen nichts von den politischen Vorstellungen der Hahnenschwanzler, nix von deren Gewaltbereitschaft, von deren wiederholten Putschversuchen wie zB durch Pfriemer.
Wir hören nix von einem präfaschistischen Rechtssystem das Arbeitermörder freisprach. Solche Morde passierten nicht nur in Schattendorf.

Was wir nicht lernen in der Schule, ist, dass solche Morde regelmäßig passierten. Wie der Mord an Leopold Müller, der nach einer Gegen-Kundgebung gegen Deutschnationale 1925 in Mödling in der Nähe des Bahnhofs- zwei Gassen von meiner heutigen Wohnung (die Genossenschaftswohnung meiner Großeltern) entfernt - erschlagen worden ist

Was wir nicht lernen ist, dass bereits Anfang der 20er faschistische Freikorps und Vorläufer der Heimwehr im Kärntner Abwehrkampf eingesetzt wurden. Dass es teilweise mehr Hahnenschwanzler als Bundesheersoldaten gab.

Wir lernen nicht, dass der Republikanische Schutzbund sich erst 1923 gegründet hat, als die reaktionären Paramilitärs bereits etabliert waren. Wir lernen nicht dass ein Republikanischer Schutzbund die Antwort ist auf Faschisten, die sich hochrüsten um die Republik zu zerschlagen.

Wir lernen stattdessen die historische Version österreichischer Hufeisentheorie, die versucht uns zu veranschaulichen, dass Linksextreme und Rechtsextreme gleich schlimm sind. Dabei wird ignoriert, dass es unsrerseits ein Bekenntnis zur Republik gab, während Faschos den Korneuburger Eid geschworen haben.
"Die Geschichte wird von Siegern geschrieben" sagt man oft vollmundig. Das heißt dann aber auch, dass die Faschos den Kampf gegen die Antifa gewonnen haben. Die Deutschnationalen den Kampf gegen die Kärntner Sloweninnen. Und dass der Kampf der Allierten kein Kampf für Homo- und sogenannte Transsexuelle war. Denn Hirschfeldt seine Forschungen zu den Zwischenstufen konnten die Alliierten nicht retten.

Ebenfalls ignoriert und damit geschichtlich weg geschrieben wird der Vernichtungswunsch gegen alles Jüdische, dem rechte Ideologien - namentlich die austrofaschistische - Ausdruck geben. Der Antisemitismus wird zu einem Ereignis ohne Ursprung. Wie so ein Erdbeben... ... über Erdbeben haben wir allerdings mehr gelernt in der Schule.
Es wird nicht gefragt von wem der Antisemitismus kommt, sondern wohin er sich richtet.

In der Abendschule, von der ich erzählt hab, haben wir das Thema eine Stunde lang wie folgt behandelt:
Die Lehrerin hat mit den Schüler_innen über den Unterschied der Juden und Jüdinnen zum Rest der Bevölkerung geredet.
Fuck you.

Wer wissen möchte, wie das emporkommen der Faschist_innen heutzutage ausschauen würde, schaut sich bitte die letzten vier Jahre in den Vereinigten Staaten an, besonders das letzte Jahr, wo sich die Proteste von bewaffneten Identitären und anderen Neofaschist_innen, die sich Proud Boys nennen, so lange häuften, bis diese Scheisskinder das Capitol gestürmt haben.

Gleichzeitig ist zu verfolgen, in welch geringem Tempo sich betroffene von Rassismus, Antirassist_innen und Antifaschist_innen sich zu schützen beginnen.
Weiße Faschos in Khakihosen und Poloshirts mit schweren Maschinengewehren stehen den Black Lives Matter und Antifa Protesten gegenüber, die gerade mal anfangen, passive Bewaffnung wie Schilder für sich zu entdecken.

Das ist keine Kritik. Unser Wunsch nach körperlicher Auseinandersetzung, unser Wunsch nach Vernichtung scheint einfach um ein Vielfaches geringer zu sein. Und das is gut so. Wir spüren das, wenn wir uns versammeln um uns gegenseitig zu unterstützen, um uns - und nicht den anderen- zu zeigen, dass wir da sind.

Und wer denkt, der Sturm aufs Capitol sei eine amerikanische Eigenart, soll sich bitte die Tendenz der österreichischen Politik seit 2015 anschauen.

Bereits 2015 war es möglich, Kleiderordnungen zu erlassen und muslimischen Frauen vorzuschreiben, was sie zu tragen haben. Das hat halt viele nicht gestört.

Seit 2016 greift Sebastian Kurz die Erzählungen der Identitären auf, von Schlepperbanden die mit der Seenotrettung im Mittelmeer kooperieren. Wenn die Identitären Gewaltfreiheit reklamieren können, dann deswegen, weil ihre Forderung, ihr Wunsch nach geschlossenen Grenzen, mit österreichischer Staatsgewalt durchgesetzt werden.

Ebenfalls 2016, im selben Jahr kann sich die Österreichische Bevölkerung nicht mehr entscheiden, ob ein gemäßigter Grüner oder ein reaktionärer Burschenschafter Präsident werden soll.
2018 sind zum zweiten Mal in zwanzig Jahren die beiden Nachfolgeparteien der Faschismen in Österreich an der Macht und an der Autoritären Linie der neuen Volkspartei besteht kein Zweifel.

Auch mit grünen Partner_innen ändert sich daran nix, ich empfehle einen Blick ins Regierungsprogramm, da ist tatsächlich die Rede von einer Schöpfung, die es zu bewahren gilt.

Und ich hätte der Volkspartei zugetraut, die Autoritären Strömungen in Österreich zu sammeln - zu bündeln, könnte man auch sagen. Aber seit Ausbruch der Pandemie scheitert der Autoritarismus von Kurz wo jeder scheitern muss, der sich auf Dekret und Propaganda mehr verlässt, als auf Information und Bildung.

Die Machtwünsche der Bevölkerung gegen etwas, das nicht zu fassen ist gepaart mit dem Wunsch nach Freiheit vor dem selbstgewählten Regime treibt die Massen weiter nach rechts.

Gottfried Küssel organisiert sich im gleichen Umfeld, in dem er sich vor seiner Verhaftung bewegt hat. Zur Anti-Impf Demo vor einem Monat ist er mit zwei Bussen gekommen. Vertreter_innen der Alten Garde, Hooligans mit Überschneidungen zu Küssels Bekanntenkreis scheinen sich im Dunstkreis der Veranstalter_innen zu bewegen. Und Martin Rutter steht in einer Linie mit Rechtsradikalen wie Stephan Magnet, ehemals BfJ (verbotene Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft für Politik, eine der grauslichsten Nazi-Gruppierungen, die Österreich in den letzten zwei Jahrzehnten gesehen hat) und jetzt Autor von Artikeln beim rechtsextremen Wochenblick.

Dass sich diese Zusammenhänge nicht mehr über Nischenzeitschriften, wie ich sie als Postlerin manchmal zwischen die Finger bekommen hab, austauschen, sondern über Medien wie den Wochenblick mit teilweise breiter Resonanz, ist ein weiteres Zeichen des erstarkenden Faschismus in Österreich.

Es gab in den Organisationsgruppen für diese Demos offene Überlegungen, das Parlament zu stürmen. Was dort geredet wurde erinnert stark an die Vorbereitungen zu einem Tag X der rechtsradikalem Gruppen rund um Uniter und Nordkreuz.

Wir leben in einer Gesellschaft, die an bestimmten Punkten zunehmend faschistischer wird und behandeln das Problem, als ginge es bloß um den Extremismus, den wir eh schon aus den Nachrichten kennen.
Als wären das Bandenkriege, die nur diejenigen bedrohen, die sich einmischen.
Bei genauem Hinschauen ergibt sich ein Bild der Zuspitzung von den Montagsmahnwachen 2014 über Pegida bis hin zu den Anschlägen in Christchurch, Halle, Hanau und zu den aktuellen Protesten, wo zB - genau wie bei den Montagsmahnwachen - das antisemitische Narrativ von Machteliten die Kinder entführen um ihr Blut zu trinken, weiter gesponnen wird.

Dieser Bruch mit der Logik dient dem Versuch, noch über irgendetwas Kontrolle zu bekommen, in einer Welt voll Dingen, die schwer zu begreifen ist. Die unerträglichen Zusammenhänge und Widersprüche im Kapitalismus werden ersetzt durch selbst erfundene, widerspruchsfreie Zusammenhänge als Teil von Verschwörungsideologien.

So plausibel wie es klingt, so gefährlich ist die Wirkung dieser Ideologien, die direkt in den Faschismus führen.
Und so gefährlich ist es, so zu tun, als wären das Bandenkriege, die nur diejenigen bedrohen, die sich einmischen.
Denn ich BIN eingemischt. Meine trans Geschwister sind eingemischt. Ohne unser Zutun.
Als Angehörige von Randgruppen spüren wir die wachsende Gefahr. Wenn trans Personen auf der Strasse beschimpft und angegriffen werden, die Fassaden von Schwulen- und Lesben Häusern mit Morddrohungen beschmiert werden, wenn Kurd_innen über Tage hinweg von Faschisten attackiert werden, wenn Musliminnen im öffentlichen Verkehr angefeindet werden oder sich die Bevölkerung gegenüber asiatisch aussehenden Menschen so verhält, als wären sie die Überträger der Pandemie.

Als wären Schnitzelfresser die vor Berührungen mit Sellner und Küssel nicht zurückschrecken immun. Denn genauso verhalten sich diese Scheisskinder - als müsste man einer Randgruppe angehören, um andere zu infizieren. Auch das ist die Logik des Dritten Reichs. Eugenik im Affekt.

Ich möchte also die Leser_innen dieses Textes, sofern sie bis hier aufmerksam waren (danke) darauf aufmerksam machen, dass der erstarkende Rechtsextremismus sich nicht nur bei Anti Impf Demos zeigt, sondern dass, wer auf Demos mit Faschos geht, auch bereit sein wird, Menschen im Alltag zu beschimpfen oder wegzuschauen, wenn sowas passiert.

Und im gleichen Maße wünsch ich mir von euch, dass wir nicht nur auf Versammlungen geschlossen gegen den Faschismus und seine Ausgrenzung stehen, sondern auch im Alltag, wenn wir Zeug_innen von Übergriffen werden.

Mischt euch ein, ruft "He, was is da?" Und wenn ihr euch alleine fühlt, sprecht andere Passantinnen an "Heast was is da drüben, schauns amal".

Und weil wir immer noch in einer Pandemie sitzen, wo wir uns in Zivilcourage nicht so oft üben können, bleibt die Reflexion über eigene Ressentiments und Vorbehalte und die eigene Recherche. Wenn nicht über einen inklusiveren Umgang mit Randgruppen, dann über Stichworte, die dieser Artikel enthält. Wie den Pfrimer Putsch oder die Entstehung von Republikanischem Schutzbund und Heimwehr, oder die Bücherverbrennung durch die Nazis.

Danke fürs Lesen!

D. Mosser