Willkommen bei KPÖ Wien Tuesday, 28. December 2021 @ 18:43

Publikumsbeschimpfung

  • Friday, 28. May 2021 @ 11:34
Mitte April hat mich der Didi angerufen und gesagt, er möchte, daß ich ihm für die Wiener KPÖ monatlich eine Kolumne verfasse. Ganz ohne Vorgaben, hat er gesagt! "Left Comments" soll die Rubrik heissen. Naja, zeitgeistig angelsächsisch benannt und weil das ja so ein originelles Wortspiel sei. Puh, also "übriggebliebene Kommentare"? Hm... warum nicht? Paßt ja irgendwo auch bei mir, das wären halt so Texte, die nicht in die akin, mein Leib-und-Magen-Blatt, passen, weil sie halt ein bisserl "Dings" sind, oder wie man das heute nennt.

Gut, im Ernst: "What's Left?" hieß schon vor gut 30 Jahren, kurz nach dem Mauerfall, ein diesbezüglicher Kongreß in Frankfurt. Sprich: Was ist übergeblieben von linkem Gedankengut resp. was heißt das eigentlich: "Links"? Ja, weiß schon, in Frankfurt hatte das auch noch eine zusätzliche Konnotation, weil da anno dazumal dieses politische Koordinatensystem etabliert wurde nach der Sitzordnung in der Paulskirche -- links nach heutigen Vorstellungen waren die Linken dort nicht, sie sind nur auf der linken Seite gesessen. Zur Zeit der Paulskirchenversammlung erschien zwar in Paris auch das "Manifest der Kommunistischen Partei", aber für die Typen in der Paulskirche war ja schon die Aufhebung der Leibeigenschaft eine revolutionäre Forderung und der Gipfelpunkt der Rebellion, einen Habsburger zum "Reichsverweser" zu wählen! Arbeiter als Abgeordnete in ihren Reihen waren unvorstellbar, Frauenwahlrecht geradezu obszön, und "Kommunismus" war für diese Volksvertreter genauso ein abscheuliches Gespenst wie für die Feudalherren. Naja, wenn ich es mir recht überlege, sind wir mit der heutigen Linken da auch nicht sehr viel näher dran. Also zumindest, wie das die meisten Millennials verstehen. "Kommunismus" setzen die mit Stalin gleich und auch bei "Sozialismus" denken sie eher an den "real existierenden". Ja, auch dann nur, wenn sie diese seltsame Wortschöpfung aus DDR-Zeiten irgendwann einmal im Geschichtsunterricht gehört haben, der in Österreich ja eh schon immer unter jeder Sau war.

Deswegen kann ja jetzt der aktuelle Nachfolger des "Heldenkanzlers" sich jetzt ähnlich wie dieser damals aufführen, ohne daß eine breitere Öffentlichkeit da Parallelen ziehen würde. Okay, das ist aber ein anderes Thema, darüber verbreite ich mich ein anderes Mal.

Stichwort: "Verstehen!" Was verstehen die Millennials, die sich als Linke verstehen, eigentlich selbst unter diesem Begriff? Ich fürchte, was ganz was anderes als meine "Boomer"-Generation. Kapitalismuskritik wohl weniger, wenns ganz blöd hergeht, darf ich mir vielleicht noch anhören, das sei überhaupt pfui, weil "struktureller Antisemitismus"!

Ja, ich bin da sicher nicht ganz fair und es ist vielleicht ein Pauschalurteil, aber ich kann mir sowas erlauben, ich bin ein alter weißer Hetero-Mann, Cis, ohne Behinderung, Migrationshintergrund oder einer Minderheitenreligion. Ich darf pauschalieren und nicht Pi-Si sein, schließlich erwartet man von unsereinem auch gar nichts anderes. Und mein Englisch ist auch miserabel, deswegen muß ich den Unsinn, der von der "Snowflake"-Generation aus den USA daherkommt, gar nicht verstehen.

"Wir haben Euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass!" haben wir noch skandiert. Ich hab das damals in den späten 80ern nicht für so super gehalten, da war ich noch so auf Gandhi drauf, aber mittlerweile finde ich das schon wieder gut. Weil man muß auch sagen können, wenn einen etwas anstinkt.
Aber heute ist es gerade diesen aus Bobo-Familien kommenden postmodernen Safe-Space-Aposteln so wichtig, daß man immer schön spricht. Außer wenn es um Nazis geht. Und Nazi ist ein jeder, der nicht schön spricht. So wie die FPÖ halt. Stimmt schon, bei der FPÖ muß man die Nazis nicht gerade mit der Lupe suchen. Aber das ist nicht der Grund, warum die Blaunen sich trotz ihrer Wickeln und Absurditäten immer wieder derrappeln, sondern die schaffen das deswegen, weil sie eben nicht schön sprechen, sondern Tacheles reden. Das ist zwar großteils ausgemachter Blödsinn und moralisch verwerflich, aber sie geben dem Unmut eine Stimme. Und dieser Unmut ist nicht per se dumm und rassistisch, sondern oft genug wie schon anno nazimal den beschissenen Lebensumständen immer mehr marginalisierter Massen anzulasten. Ja, diese Menschen wählen dann eine Kapitalistenpartei, und oft ist ihnen das sogar bewußt, aber in unserem Repräsentativsystem sehen sie halt sonst kaum eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.

Natürlich ist eine pauperisierte Unterschicht hierzulande nicht mehr so beschissen dran wie damals unter den Klerikalfaschisten, aber die Angehörigen dieser Schicht spüren halt, daß sie abgehängt werden. Deswegen treten sie auch auf diejenigen im Land hin, die nicht einmal das Wahlrecht haben, weil aus Frust muß man ja irgendwen treten, der sich nicht wehren kann. Nach oben treten ist auch schwer, weil halt die Vertreter des Kapitals und deren Parteien ihre Ärsche zu weit oben haben, daß man sie treten könnte. Zu diesem Zwecke, zum Verteilen von Fußtritten auf höheren Ebenen nämlich, braucht man eben Volkstribunen, mögen sie jetzt Trump oder Kickl heissen. Und die sind halt leider ziemlich rechts.
Für ein solches Tribunat wäre doch aber eigentlich die politische Linke viel besser geeignet. Aber die ist heute ein Spießerverein geworden, die mit einem stinknormalen Hackler nichts anfangen kann. Außer er hat "Migrationshintergrund", was beim modernen Proletariat halt oft genug der Fall ist. Aber dann interessiert sich diese Linke auch höchstens dafür, daß er nicht wegen seiner Herkunft diskriminiert wird. Ob der Kollektivvertrag, nach dem er bezahlt wird, für ein vernünftiges Leben reicht, ist diesen Bobos schon wieder eher wurscht.

Wichtig ist diesen Linken auch, daß Frauen mit akademischen Grad erstens "Magistra" und nicht "Magister" heissen und zweitens nicht an eine gläserne Decke stoßen. Egal ist, was die Putzfrau, die das Büro der Generaldirektorin reinigt, verdient, genauso wie ob deren Tochter jemals die Chance auf einen Magistra-Titel hat, weil sie eben aus einer proletarischen Familie stammt die, ja eben, meist migrantisch ist. Interessant wird diese Tochter erst, wenn sie es doch auf eine Uni schafft und dann vielleicht auch noch feststellt, "divers" zu sein. Dann ist es ganz wichtig, daß ihr Abschluß auch "Mag.x" heissen kann. Aber eben: Daß sie eine Chance bekommt, überhaupt zu inskribieren, ist da weniger wichtig. (Nebenbei: Gibt eh bald nur mehr "Master", jetzt sagts mir aber nicht, die weibliche Form sei "Mistress"!)
Sollte es sich allerdings nicht um eine migrantische Tochter handeln, sondern um einen männlichen Ururenkel eines "Ziaglbehms", dessen Familie es bislang nie aus dem Proletariat herausgeschafft hat, dann ist der für die Bobos noch um einen Zacken mehr wurscht. Weil das ist dann sowieso ein Nazi, weil er nicht gendert, wenn er sich mal trauen sollte, die Goschen aufzumachen.
Der hat dann überhaupt keine Chance; selbst wenn er versucht, nett zu sein, begeht er wahrscheinlich gleich Mikroaggressionen, weil er jemandem aus dieser Bobo-Blase einen Tschick anbietet oder zu einer Grillparty mit -- horribile dictu -- totem Tier einlädt, das dann wahrscheinlich nicht mal "bio" ist. Da nutzt es ihm auch gar nichts, wenn er vielleicht doch migrantisch ist. Wenn er nicht Pi-Si ist, kann er scheißen gehen.
Ja, ich bin verallgemeinernd und polemisch, aber langsam krieg ich halt einen Hass! "Linke", denen es hauptsächlich wichtig ist, sauber, nett und adrett zu sein, als wären sie Zeugen Jehovas, sind zum Krenreiben! Diejenigen, die ich meine, sind jetzt bei der Lektüre eh schon puterrot angelaufen und haben wahrscheinlich nicht einmal bis an diese Stelle gelesen, sondern teilen diesen Text voller Empörung, bedenken mich mit eher makroaggressiven Bezeichnungen, die vielleicht nicht ganz so Pi-Si sind, blockieren die KPÖ (tschuldigung, Didi, aber du wolltest ja sowas von mir) und fordern auf, mich zu boykottieren. Glücklicherweise gibts bei mir nicht viel zu culturecanceln und ich bin politisch wurscht. Diese Irrelevanz meiner Person hat natürlich auch Vorteile, ich kann da bedenkenlos vom Leder ziehen. Wer nicht mal einen Wikipedia-Eintrag hat, ist ja sowieso eine Unperson und kann leicht schimpfen.

Aber vielleicht lesen das auch ein paar Leute, denen ich mit meinem Pamphlet aus der Seele rede. Vielleicht sind sogar echte Linke unter 30 dabei, denen diese Bobos auch am Arsch gehen. Wenn nicht, ist es mir aber auch powidl; Hauptsache, ich bin mal meinen Grant losgeworden.


Če, Oberkochmezer der Wiener Zeitschrift "akin" sowie Co-Tratscher der
Salzburger Radiofabriksreihe "Schallmooser Gespräche"