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Wahlrechtsreform: Weg mit den Hürden, die ein Relikt des Kalten Krieges sind

  • Wednesday, 12. September 2012 @ 14:02
Wien-Politik Ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen der “Interessensgemeinschaft für ein faires Wahlrecht in Österreich” und bedanke mich für Ihr Interesse.

Mein Name ist DI Wolf-Goetz Jurjans, ich bin Bezirksrat in Margareten, ArbeiterInnenbetriebsrat und Mitglied des Bundesvorstandes der KPÖ. Ich bin in meinem Brotberuf Nachtportier und für mich ist es jetzt kurz nach Mitternacht. Deswegen habe ich mein Statement schriftlich vorbereitet und werde es jetzt verlesen.

Anlass für die Bildung der Interessensgemeinschaft war die vom SPÖ-Gemeinderats-Fraktionschef Rudolf Schicker gemachte Ankündigung, die Zugangshürde zur Erreichung eines Bezirksratsmandates von 2,5 auf 5 Prozent verdoppeln zu wollen. Sie wissen, Bezirksvertretungen sind die unterste Stufe der demokratischen Willensbildung in Wien, die Kompetenzen sind gering, Anträge und Anfragen unterliegen einem strengen Reglement, Stadtverfassung genannt, und alles was der Mehrheitsfraktion nicht passt, wird in der Regel nicht zugelassen. Zur Zeit wären von dieser Neuregelung 6 BezirksrätInnen von 1112 betroffen, 3 KPÖlerInnen, eine rührige Bezirksbürgerinitiative und 2 Ex-BZÖler.

Wer weiß, wie abhängig Wahlen von Geldflüssen und Medienpräsenz sind, der weiß, weiß wie schwierig es schon jetzt ist, als kleine Gruppe mit wenig Mitteln überhaupt die nötigen 2,5 Prozent zu erreichen.

Ich habe beim dritten Mal (d.h. nach 15 Jahren) die Hürde mit 2,7 % überwunden, ohne die Latte zu streifen.

Von Gefahr in Verzug für die SPÖ kann man also beileibe nicht reden, obwohl die KPlerInnen eine sehr aktive und initiative Rolle in den Bezirken spielen. Warum verschärft also die SPÖ auf der untersten demokratischen Ebene die Zugangsbestimmungen für die passiv zu Wählenden?

Die offizielle Begründung ist, man will keine “italienischen Verhältnisse”. Man erwartet offensichtlich eine verstärkte Aktivität an der Basis der Gesellschaft, Piraten, Stronachisten, Basisinitiativen und will jede und jeden, der sich am demokratischen Prozess aktiv beteiligen will, abschrecken und demoralisieren. Initiatoren der Wahlrechtsänderung waren wahrscheinlich einige Bezirksvorsteher, die ihre Ruhe haben wollen und die keine Diskussionen vor Ort wünschen.

Demokratiepolitisch ist diese Maßnahme meiner Meinung fatal. In einer Zeit, in der das Interesse und das Vertrauen der Bevölkerung in “POLITIK”, DIE Politiker, stündlich abnimmt, müsste doch alles unternommen werden, die Menschen wieder für die res publica, für die öffentliche Sache zu gewinnen, sie zu ermutigen, sich zu beteiligen und dadurch die bürgerliche Demokratie gegen autoritäre Alternativen zu schützen. Genau das Gegenteil wird damit erreicht werden. Und beweist Abgehobenheit und/oder instinktlose Naivität.

Wenn man den Sachverhalt aus neoliberaler Sicht betrachtet, stellt man fest: Alle wesentlichen politischen Entscheidungen werden mittlerweile weltweit von demokratisch nicht legitimierten Konsortien in Jachtclubs oder Berghütten gefällt. Die offizielle Politik hat die Rolle des Moderators, der der Bevölkerung die schlechte Botschaft der “Märkte” übermitteln muss und als Wahlalternativen Pest oder Cholera anbieten kann. Aus dieser Sicht braucht es überhaupt keine Bezirksparlamente mehr, Frank Stronach zeigt als Buerlusconi ohne Bunga Bunga, wie Demokratie gekauft wird und wie man Gewerkschaften abschaffen kann.

Genau dieser Logik folgt die SPÖ und öffnet damit den Rechtsextremen Tür und Tor. Dass sie dabei die einzige organisierte, profilierte linke Kraft ausschließt, ist für sie kein Problem, weil offensichtlich der Kalte Krieg noch nicht beendet ist. Gleichzeitig wird ESM und FISKALPAKT ohne Volksabstimmung durch Parlamente geschleust, verfassungskonform hin oder her.

Meine Damen und Herren. All das ist meiner Meinung einerseits absurd, anderseits nicht ungefährlich.

Das sehen auch SP Linke und Grüne Linke so. Es gibt heftigen parteiinternen Widerstand bis zur Austrittsdrohung.

Nicht nur die Linke sieht das so, auch bis weit hinein ins bürgerliche Lager reicht der Protest, womit wir wieder bei unserer Interessensgemeinschaft sind.

Auf diese Tendenz Richtung autoritärer Regierungsausübung wollen wir hinweisen.

Wir wollen gemeinsam auch eine Senkung der Gemeindratshürde, die ebenfalls als Relikt des Kalten Krieges übrig geblieben ist und um es auf den Punkt zu bringen: Es soll jede WählerInnenstimme gleich viel wert sein. Das führt meiner Meinung nicht zur Chaotisierung sondern zu Vitalisierung der Demokratie. Eine Veränderung der Verhältnisse kann nur von unten, von von den einzelnen, von den engagierten betroffenen “Experten vor Ort” eingeleitet werden, wenn sich die etablierte Politik außerstande erweist, Probleme im Interesse der großen Mehrheiten zu lösen.

Abschließend noch ein Hinweis in eigener Sache. Überzeugen Sie sich bitte davon, dass Bezirkspolitik nicht nur sehr spannend und lebendig sein kann, sondern auch einen hohen Unterhaltungswert erreichen kann. Am Samstag um 14 Uhr wird im Hof des Augustin in Wien Margareten, Reinprechtsdorfer Straße 31, die Republik Reinprechtsdorf ausgerufen. Hintergrund ist der Kampf einer Bürgerinitiative gegen das Wett- und Glücksspielkartell, dass die Reinprechtsdorfer Straße mit Wett- und Spiellokalen in den wirtschaftlichen und menschlichen Ruin treibt. Hier wird auf spielerische Art und Weise ein demokratisches Grundverständnis an die Menschen herangetragen, auf das sie es benützen und sich auf diesem Fundament organisieren mögen.

Danke für die Aufmerksamkeit. Ich gebe damit jetzt das Wort an die Kollegen der anderen Parteien weiter.