Willkommen bei KPÖ Wien Tuesday, 28. December 2021 @ 18:48

Lesen´s den "Augustin", Herr Bürgermeister!

  • Tuesday, 13. April 2010 @ 13:33
Maria Stern beschreibt in der Nummer 272 des "Augustin" eindrucksvoll, wie schnell soziale Netze reißen und was die dramatischen Folgen sind.

Wir danken Maria Stern - Website von Maria Stern - und dem Augustin für die Überlassung des Textes, der zeigt, warum es gilt ernsthaft über ein bedingungsloses Grundeinkommen zu debattieren und warum Häupl eiligst die 14x-ige Auszahlung der "bedarfsorientierten Mindestsicherung" für Wien beschließen sollte.

Der Link zur Unterstützung der Initiative Für die 14x-ige Auszahlung der Mindestsicherung in Wien

Mindestsicherung für Kinder oder

Der Fall Franza K.

Von Maria Stern

Franza K. ist Akademikerin, Mitte dreißig, berufstätig und alleinerziehende Mutter von drei Kindern.

Im einvernehmlichen Scheidungsvergleich wurde die Alimentationszahlung festgelegt, die der Vater, aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit, monatlich zahlen würde. So weit, so gut. Der Alltag war hart, aber lustig, der Besuchskontakt mit dem Vater unregelmäßig, aber er zahlte, und Franza K. hatte sich mit ihrer Lebenssituation gut arrangiert.

Bis der Brief kam. Der Brief, in dem ihr von ihrem Ex-Mann mitgeteilt wurde, dass er, der selbständige Softwareentwickler, ab dem nächsten Monat (in drei Tagen!), nicht mehr fähig sei, Alimente zu zahlen. Franza weinte eine Stunde. Dann ging sie zum Jugendamt und übergab dem zuständigen Mitarbeiter die Vollmacht, sich für das Geld ihrer Kinder einzusetzen. Ihr wurde zugesagt, dass sie, wenn alles überprüft sei, einen Unterhaltsvorschuss in der Höhe der Alimente bekommen würde.

Franza K. fragte, wie lange das in etwa dauern werde, bekam eine vage Antwort, woraufhin sie mit den Achseln zuckte, sich bedankte und ein Stoßgebet zur österreichischen Frauenpolitik sendete, die es ihr ersparte, von einem Tag auf den anderen zu verarmen.

Weil sie aber die Miete fürs nächste Monat nicht zahlen konnte, ging sie zum Sozialamt, das sich nicht für zuständig erklärte. Sie ging sicherheitshalber zu ihrem Arbeitgeber, kündigte und suchte sich einen neuen Job. Sie ging zum Arzt, weil die Schwindelanfälle wieder massiv geworden waren.

Die Zeit verging. Wochen. Monate. Franza K. rief beim Jugendamt an. Der zuständige Mitarbeiter war nicht da. Oder er vertröstete sie auf später. „Wann ist später?“, fragte Franza K., die, berufstätige Akademikerin, Mitte dreißig, ohne finanzielle Unterstützung ihrer Eltern, mit ihren drei Kindern längst delogiert worden wäre.

Sie bekam eine vage Antwort, woraufhin sie den Kopf schüttelte, sich grämte und ein Stoßgebet zur österreichischen Frauenpolitik schickte, mit der dringlichen Frage, in welchem Film sie da eigentlich gelandet sei.

«Alle waren sehr erstaunt»

Da Franza K. über Kontakte zur heimischen Presse verfügte, kontaktierte sie sämtliche Medien: ORF, Ö1, Krone, Kurier, Presse, Format, Woman. Und alle waren sehr erstaunt über ihre Geschichte, keiner konnte sie so recht glauben, und alle haben versprochen, aus dem Thema ein Thema zu machen, und – schwiegen. Als Franza sich erkundigte, warum, bekam sie eine vage Antwort, woraufhin sie die Fäuste ballte, schluchzte und ein Stoßgebet zur österreichischen Frauenpolitik beamte, um die Medienlandschaft zu verfluchen.

Die Zeit verging. Wochen. Monate. Nach fünf Monaten, in denen sie nie mit den Kindern schwimmen gegangen war, auch nicht Eislaufen, auch nicht ins Kindertheater, und in denen die Kinder keine neuen Kleider bekamen, hatte das Jugendamt endlich alle erforderlichen Zettel über alle erforderlichen Tische geschoben, das Bezirksgericht eingeschaltet und überwies Franza K. das Geld. Wäre der Stempel intern um einen Tag früher zu seinem zweckmäßigen Einsatz gekommen, hätte sie nur vier Monate warten müssen. Wäre intern ein Antrag früher gestellt worden, hätte sie mehr Geld bekommen. So musste sie auf ein Drittel des den Kindern rechtmäßig zustehenden Geldes verzichten.

Franza K. hob das Geld ab, bezahlte alle Schulden und ging mit ihren Kindern in den Tierpark. Sie kaufte für jeden ein eigenes Eis. Überhaupt war sie an diesem Tag sehr fröhlich. Bis der Brief kam. Der Brief, in dem ihr vom Oberlandesgericht mitgeteilt wurde, dass der Kindesvater einen Unterhaltsherabsetzungsantrag gestellt hatte, der mit dem Datum der Unterzeichnung bis auf Weiteres gültig sei, und sie ab nächstem Monat (in drei Tagen!) statt 900 Euro nur noch 100 bekommen werde. 30 für die Tochter, 30 für den Sohn, 40 für den Ältesten. Und das so lange, bis das Oberlandesgericht alle erforderlichen Zettel über alle erforderlichen Tische geschoben hat.

Franza K. begrub den Urlaub, schwieg drei Tage lang und rief dann beim Jugendamt an. „Ja, so ist die Gesetzeslage in Österreich.“ „Und wie soll ich meine Miete zahlen?“ Schweigen.

«Alleinerziehen ist nicht sexy»

„Wie lange muss ich dieses Mal warten?“ Sie bekam eine vage Antwort, woraufhin sie das Handy in eine Ecke knallte, schrie und ein Stoßgebet zur österreichischen Frauenpolitik feuerte, die offensichtlich übersehen hatte, dass es da eine eklatante Gesetzeslücke gab. Franza K. wartete. Machte sich Gedanken über die Situation von Alleinerziehern, die, das berichten die Medien ja oft, ohne dass entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden, akut armutsgefärdet sind. Sind ja auch zu 90 Prozent Frauen. Alleinerziehen ist nicht sexy (warum eigentlich nicht?). Darum gibt’s da auch keine Lobby. Wenn AlleinerzieherInnen nach ihrem Arbeitseinsatz und ihrer Verantwortung entlohnt werden würden, wären sie SpitzenverdienerInnen. Und sie dachte über eine «Mindestsicherung für Kinder» nach, für alle Kinder in Österreich. Bedingungslos. Bürokratielos.

Sie wartete. Wochen. Monate. Nach einem halben Jahr rief sie beim Jugendamt an und fragte, ob der Beschluss des Oberlandesgerichtes bindend sei. „Nur wenn der Vater keine Berufung einlegt. Sonst wird der Fall vom Landesgericht übernommen, und die müssen dann alles prüfen.“

„Wie lange muss ich dann warten?“ Franza K. bekam eine vage Antwort, woraufhin sie beschloss, politisch aktiv zu werden, atmete tief durch und formuliert ein Stoßgebet an die österreichische Frauenpolitik und an die verstorbene Johanna Donahl. Franza K. bat sie, aus dem Jenseits heraus, den Parlamentariern ordentlich Feuer unterm Arsch zu machen.

Maria Stern