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Nochmals zum EU-Reform-Vertrag

  • Wednesday, 23. April 2008 @ 15:50
Europa Im EU-Reform-Vertrag, der von SPÖ, ÖVP und Grünen am 9. April im Parlament beschlossen wurde, ist der absolute Vorrang für die Deregulierung der Märkte hinter dem Begriff “Binnenmarkt“ versteckt und das Wettbewerbs- und Privatisierungsdogma in einem Protokoll. Solange es diesen Vorrang gibt, bleiben hehre Ziele wie Vollbeschäftigung und soziale Marktwirtschaft aber Leerformeln. Der durch Deregulierung angeheizte Standortwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten führt zu Lohn- und Sozialdumping und zur Minimierung der Unternehmensbesteuerung. Die aktuellen Folgen der Deregulierung der Finanzmärkte machen heute sogar schon den Profiteuren der Deregulierung Angst. Eine demokratisch in keiner Weise legitimierte Institution wie die EU-Kommission versteht sich als Exekutor der Freihandels- und Wettbewerbsdoktrin und kann mit Hilfe des Wettbewerbsprinzips überall hineinregieren – egal ob es sich um nationale oder EU-Kompetenzen handelt. Mit dieser Begründung diktiert sie Österreich auch den Anbau von genmanipuliertem Saatgut. Eine Privatisierungswelle im Gesundheits- und Bildungsbereich ist bereits in Vorbereitung.

Überdies behält die Kommission ihr Initiativmonopol – d.h. das Parlament kann kein einziges Gesetz initiieren. Das Parlament kann nach wie vor nur die Kommission als Ganzes aber nicht einzelne Kommissare wählen und abwählen. Das Vorschlagsrecht für den Kommissionspräsidenten bleibt bei den Regierungschefs.

Das Parlament bekommt zugegebenermaßen mehr Kompetenzen, es darf aber nur mit-bestimmen, d.h. es ist ohne Zustimmung der Regierungschefs machtlos. In Sicherheitsfragen darf es nicht einmal das. Ganz abgesehen davon, dass die Abgeordneten zum Europäischen Parlament im Schnitt 1500 km von Ihren WählerInnen entfernt sind, während sie von 15.000 Lobbyisten belagert werden. Dass die repräsentative Demokratie unter diesen Umständen ohne wirksame Elemente der direkten Demokratie nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Das vorgesehene BürgerInnenbegehren ist eine lahme Ente, weil seine Behandlung auch bei sehr hoher Beteiligung weder zwingend ist noch einen Volksentscheid verlangt.

Durch die Möglichkeit der Entscheidungen mit doppelter Mehrheit kann es sein, dass 12 Staaten gegen ein Gesetz sind und dieses trotzdem Rechtskraft erlangt. Eingeführt wurde die Doppelte Mehrheit schon in Nizza. Weder über Amsterdam noch über Nizza wurde aber der Souverän befragt - deswegen muss man in die Betrachtung des Reformvertrages diese beiden Verträge miteinbeziehen. Es kann einfach nicht sein, dass Entscheidungen über verfassungsrelevante Veränderungen durch ein scheibchenweise Vorgehen am Volk vorbeigemogelt werden.

Die Kompetenz der nationalen Parlamente wird nur hinsichtlich der Subsidiaritätsfrage erweitert, inhaltlich verbessert sich überhaupt nichts. Im Gegenteil: Die Kommission kann jetzt internationale Handelsverträge abschließen, ohne dass diese von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssen!

Ein ganz großes Problem des Vertrages sind die Bestimmungen im Bereich der Militarisierung. Alle Staaten werden zur ständigen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten verpflichtet. In der sogenannten Strukturierten Zusammenarbeit können einzelne Staaten einen militärischen Exklusivzirkel bilden. Dass das neutrale Österreich da mitmachen will, ist unglaublich - aber wahr. Auf den Eurofighterkauf und den Tschadeinsatz wirft dieser Umstand ein besonderes Licht. Obendrein wird der Euratomvertrag integrierender Vertragsbestandteil. D.h. Österreich muss die Renaissance der Atomindustrie mitfinanzieren. Bereits heute mit jährlich 40 Mio Euro.

Die vielgepriesene Grundrechtscharta „schafft kein einziges neues Recht“ (Zitat). Sie muss im Einklang mit den bestehenden nationalen Gesetzen umgesetzt werden. Das Klagsprozedere ist unklar und für NormalbürgerInnen völlig undurchschaubar. Ein Unterstützungservice ist nicht vorgesehen.

Das sind nicht alle, aber die allerwichtigsten Problembereiche des Reform-Vertrags. Ich meine, dass angesichts dieser Tatsachen kein Politiker und kein Journalist den Reform-Vertrag als "Fortschritt" darstellen sollte.

Günter Hager-Madun (Aktivist der Plattform Volksabstimmung)