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Die Aufrechten

  • Thursday, 13. March 2008 @ 14:03
Antifaschismus Die Aufrechten sind immer eine Minderheit. Jedenfalls – in den harten Zeiten. Vor siebzig Jahren war keiner gezwungen, seines Nachbarn Hab und Gut zu plündern. Aber er „durfte“ es tun, wenn der Nachbar ein „Jud’“ war. Nur wenige leisteten Widerstand. Nicht die Kirchen; die Bischöfe begrüßten den Anschluß. Nicht die Sozialdemokraten; Karl Renner stimmte freudig mit „Ja“. Und schon gar nicht die Austrofaschisten, die Zerstörer der Demokratie.

Es gab Widerstand in Österreich. Mein Vater Laurenz Genner, vor 1934 Nationalratsabgeordneter der SPÖ, wurde 1938 Kommunist. Und mit ihm tausende frühere Sozialdemokraten, die die Schande nicht ertragen wollten. Er wusste zwar von den Moskauer Prozessen und lehnte sie ab; aber die KPÖ war die einzige Partei, die 1938 zum Kampf gegen die Nazis aufrief. Mein Vater hat ihr – trotz Enttäuschungen und Konflikten - bis 1956 gedient; nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands trat er (wie viele andere) aus. Der Widerstand gegen die Nazis war schwach. Aber es gab, immerhin, die Akten des Dokumentationsarchivs zeigen es, in fast jedem größeren Betrieb in Wien eine illegale Zelle, die versuchte, die Rüstungsproduktion zu sabotieren. Mit ohnmächtigen Mitteln; aber jede gelockerte Schraube, jeder Schaden an einem für die Front bestimmten Motor war ein kleiner – und doch so wichtiger – Beitrag zur Niederlage des Naziregimes.

Als die Zelle im Siemens-Werk Leopoldau aufflog, verraten von Spitzeln der Gestapo, schrieb der Staatsanwalt empört: Die Angeklagten hätten „viele Jahre lang das Elend der Arbeitslosigkeit gespürt“ und erst, „als der Nationalsozialismus auch in den Alpen- und Donaugauen die Führung übernommen hatte“, wieder “sichere Stellungen in ihrem Berufe“ gefunden. „Trotzdem haben sie sich in ihrem Betriebe kommunistisch gegen das Reich betätigt!!!“

Einige Siemens-Arbeiter wurden hingerichtet, andere verschwanden hinter Gittern. Der Widerstand schlug zurück. Die „Rote Front“ (so hieß die illegale Zeitung, die mein Vater in Wien herausgab) schrieb im Juli 1942, dass „wir vier von den Siemensspitzeln bereits kennen. Über diese Lumpen ist das Urteil schon gesprochen.“

„So sehr einem das widerstreben mag, und so sehr ich in Friedenszeiten gegen die Todesstrafe bin“, sagte mein Vater – „im Kampf gegen die Gestapo durften wir auch vor Hinrichtungen nicht zurückschrecken.“

In seiner Gruppe gab es auch eine „U-Boot-Referentin“, Doris Brehm, deren Aufgabe es war, geheime Unterkünfte für Juden, Deserteure und andere „Unterseeboote“ zu organisieren. „Es gab private Villen“, schrieb sie 1945, „in deren Kellern Menschen wohnten, die nie das Tageslicht sahen. Es gab Schrebergartenhütten, wo Familien im Dachgeschoß hausten und sich kaum rühren konnten, damit kein Nachbar Verdacht schöpfte.“

Nur wenige gingen das Risiko ein, Verfolgten zu helfen. Der Widerstand war ohnmächtig im Vergleich zur faschistischen Maschine, die das Land beherrschte. Aber es gab ihn, er war möglich, er wird auch in Zukunft möglich sein.

Die Widerstandskämpfer hofften auf ein anderes, ein besseres Österreich. Sie wurden nach der Befreiung bitter enttäuscht. Darum ist ihr Kampf nicht zu Ende. Auch heute nicht.

Michael Genner
Obmann von Asyl in Not

Währingerstraße 59
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Literatur:

Michael Genner, „Mein Vater Laurenz Genner. Ein Sozialist im Dorf“, Veröffentlichung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, Europa-Verlag, Wien 1979.

Claudia Erdheim, „Längst nicht mehr koscher. Die Geschichte einer Familie“, Czernin-Verlag, Wien 2006.


Biographische Daten:

Laurenz Genner (1894 – 1962).
1917 Journalist bei der „Arbeiter-Zeitung“
1925 Mitarbeit am „Sozialdemokratischen Agrarprogramm“
1925-1934 Aufbau „roter Bauerngruppen“ im Waldviertel
1932-1934 Abgeordneter zum Nationalrat
1934 Verhaftung
1934-1938 illegale Arbeit für die „Revolutionären Sozialisten“
1938 Übertritt zur KPÖ
1938-1940 wegen „Beihilfe zum Hochverrat“ inhaftiert
1942 Herausgabe der illegalen Zeitschrift „Die Rote Front“ in Wien
1944 neuerliche Verhaftung nach dem 20. Juli, Selbstmordversuch, Flucht
1945 Mitglied der Provisorischen Regierung
1945-1954 Landtagsabgeordneter und Landesrat in Niederösterreich
1947 Organisator von Landbesetzungen im Marchfeld
1949 Landbesetzung und Gründung einer Genossenschaft in Sommerein
1954 von der KPÖ-Führung kaltgestellt
1957 Austritt aus der KPÖ.