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Hermi Jursa: Widerstand heißt Überleben

  • Friday, 7. March 2008 @ 20:37
Hermine Jursa, geboren 1912 in Wien, verlor früh ihre Eltern und lebte dann eine Zeitlang im Waldviertel. Durch den Eindruck der ökonomischen Krise wurde sie politisch aktiv. Sie arbeitete als Haushaltgehilfin. Ab 1936 nahm sie am kommunistischen Widerstand gegen das Schuschnigg-Regime teil. 1939 verhaftete sie die Gestapo. Zwei Jahre saß sie in Gefängnishaft und überlebte schließlich das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Das Gespräch mit Hermine Jursa führten Sabine Treude und Susanne Kowarc im Jahr 1998 für die Wochenzeitung Volksstimme. Hermine Jursa sieht man ihre man ihre 86 Lebensjahre nicht an. Eine kleine, drahtige, lustige Frau steht vor uns, als wir sie in der Volksstimme-Redaktion treffen. Sowohl meine Kollegin Sabine Treude als auch ich spüren nicht eine Sekunde lang, daß zwischen uns zwei Frauengenerationen liegen. Hermi erzählt von der für uns unvorstellbaren Armut, in der sie aufgewachsen ist und wie sehr sie dieser Umstand politisch geprägt hat. Zunächst unterhielten wir uns lang über ihre Arbeit im Widerstand:

„Also, wir haben zunächst in Kadern gearbeitet. Jeder hat immer nur maximal drei andere Genossen oder Genossinnen gekannt. Außerdem haben wir sogenannte „I-Namen“ gehabt. Wir haben selber Texte abgezogen auf einer Matrizenmaschine. Schon unter Schuschnigg haben wir Stützpunkte in Betrieben gehabt, die dann unter den Nazis noch ausgebaut worden sind. Ich war dann „Litfrau“. Als Milchausträgerin habe ich den Leuten damals noch die Milch bis zur Haustür gebracht - und dabei war dann auch Propagandamaterial. Mein Fehler war, daß ich mit dem Verteilen in den Wohnhäusern unten, nicht oben begonnen habe. Dabei bin ich aber Gott sei Dank nicht aufgeflogen. In unserer Gruppe war auch eine Jüdin. Nach der Reichskristallnacht ist sie gebeten worden, eine Zeitlang nicht mehr zu arbeiten, weil wir sonst auffliegen würden. Aber es hat Spitzel gegeben, die uns schon gekannt haben. Ich habe damals im dritten Bezirk gewohnt, da gab es einige Verhaftungen. Dann bin ich selbst verhaftet worden, kam ins Polizeigefangenenhaus in der Elisabethpromenade. Das war das erste Mal, daß ich verhaftet worden bin. Ich habe geweint, aber die Helene Potetz, eine Sozialistin, hat mich beruhigt.“

Hermi Jursa war dann zwei Jahre im Gefängnis, einen Teil davon in Einzelhaft. Der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion veranlaßte eine Kameradin Hermis, ein Gedicht zu verfassen, das sie dann durch die vergitterten Fenster nach draußen schmetterte. Dann sangen alle inhaftierten Frauen die Internationale und setzten somit ein Zeichen unglaublichen Muts.

„Dafür wurden wir dann bestraft mit Essensentzug und dem Befehl, auf dem Boden zu schlafen. Erst später habe ich dann meine Verhandlung gehabt und zweieinhalb Jahre Haft bekommen. Von dieser Zeit habe ich über zwei Jahre schon abgesessen gehabt, also hätte ich nur noch zwei Monate in Haft bleiben müssen. Am 22. Mai 1942 bin ich nach Ravensbrück gekommen.“

In das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück wurden zwischen Mai 1939 und September 1945 über 132.000 Menschen eingeliefert, mehr als 92.000 Frauen und Kinder kamen dort ums Leben. In vielen Publikationen wird der Widerstand, der erst durch die enorme, parteienübergreifende Solidarität der Frauen untereinander möglich wurde, gewürdigt. Diese Aufopferung der Häftlinge ist nicht bloß Mythos, sondern entspringt dem Umstand, daß ohne die gegenseitige Hilfe unter menschenunwürdigsten Bedingungen Überleben im KZ nicht möglich gewesen wäre. Daß viele Kommunistinnen an vorderster Reihe mithalfen, den Glauben an die Zukunft aufrecht zu erhalten, entspringt nicht zuletzt ihrer politischen Wertehaltung. Eine Symbolfigur im Lager selbst und auch lange nach Kriegsende für viele Frauen wurde Rosa Jochmann.

„Nach der Einlieferung in Ravensbrück sind wir zuerst auf den Zugangsblock gekommen. Da hat ein ganz neuer Horror begonnen: Da ist geschlagen, getreten worden, das Faustrecht hat geherrscht. Schlecht angezogen – es war sehr kalt um diese Zeit, der Rauhreif ist gelegen – sind wir beim Appell gestanden. Wir Jungen haben das ja noch irgendwie verkraftet, aber für die Älteren war das eine schlimme Situation, da sind viele zusammengebrochen. Irgendwann hat mich dann die Rosa Jochmann zu sich auf den Politischen Block geholt. Ich habe dann Arbeit in der Effektenkammer bekommen, die mein Leben erhalten hat, weil ich nicht mehr in der Kälte sein mußte. So bin ich Funktionshäftling geworden – und nur an einer solchen Position hat man helfen können. In der Effektenkammer habe ich die Aufgabe gehabt, die Kleidung der Neuzugänge einzusammeln. Einmal ist ein Transport mit lauter Todeskandidatinnen aus Polen gekommen, die Frauen sind für medizinische Experimente ausgesucht worden. Ihre Füße sind aufgeschnitten worden und alle möglichen Gegenstände – etwa Glasscherben – sind hineinoperiert oder Giftstoffe injiziert worden, um zu erforschen, was mit verletzten Soldaten an der Front passiert.“

Nach einer Weile wird Hermi einem anderen Arbeitskommando zugeteilt. Als Mitglied der sogenannten „Sturm-Kolonne“, die von der Burgenlandkroatin Hanna Sturm angeführt wird, hat sie freie Bewegungsmöglichkeiten im Lager. Dieses Arbeitskommando muß im Lager alle Reparaturarbeiten versehen.

„Ich bin in die Sturm-Kolonne gekommen und dort ein Jahr angelernt worden. Wir haben alles repariert, was nicht niet- und nagelfest war. Wir haben Dächer geteert, Fenster geglast oder Brotregale gezimmert. 1943 ist der Industriehof fertig geworden, wo verschiedene Fabriken Arbeiterinnen aus Ravensbrück beschäftigten. Dorthin bin ich dann gekommen. Da haben wir sehr wirksam tätig werden können, wir haben doch überall hin Zutritt gehabt.“

Viele Fäden der Widerstandsaktivitäten liefen zunächst bei Rosa Jochmann als Blockälteste des Politischen Blocks zusammen. Doch sie war bekannt, mußte zweimal in den Bunker (das Lagergefängnis) und war somit eine Zeitlang paralysiert. Für sie sprang die damals weniger bekannte Kommunistin Mela Ernst ein.

„Wir haben uns vor der SS abgeschottet. Wichtig war, daß man seine Angst nicht zeigt. Alles Verbotene haben wir allein für uns gemacht, ohne es irgend jemandem anderen zu sagen. Wir wollten nicht, daß wir auffliegen, aber auch niemanden auffliegen lassen. Daher haben wir heute so viele Streitereien, was alles passierte im Lager, von dem so viele, die doch auch und zur gleichen Zeit dort waren, nicht gewußt haben. 1944 ist die Mela Ernst ins Lager gekommen, sie hat ungeheures politisches Wissen mitgebracht, sie war schon seit 1923 aktiv.

In der Schweiz hat sie österreichische Genossen nach Spanien geschleust,bevor sie selbst in den Bürgerkrieg gegangen ist. Weil die Mela fünf Sprachen gesprochen hat, konnte sie die internationalen Gruppen zu einer großen Organisation zusammenschließen. Ihr Credo war, so viele Menschen als möglich zu retten. Das war Ende 1944, Anfang 1945. Auschwitz war schon evakuiert, Ravensbrück ist immer voller geworden. Die Auschwitzer sind einem sogenannten „Todeszelt“ ohne sanitäre Einrichtungenuntergebracht worden. Dann ist es darum gegangen, drei österreichische Genossinnen zu retten: Gerti Schindel, Toni Lehr und Edith Wexberg, deren Leben bedroht war. Toni hatte 42 Grad Fieber und sich selbst aufgegeben. Zwei Kameradinnen haben sie dann in den Block mit den ansteckenden Krankheiten gebracht. Als die SS Toni gesucht hat, haben sie sich nicht in diesen Block hineingetraut. Wir haben auch die anderen beiden versteckt, die Edith Wexberg ist zu uns in die große Reparaturwerkstatt gekommen.“

Vieles war nur mit unglaublicher Geistesgegenwart möglich. Ruhig Blut zu bewahren galt es in kritischen Situationen, vor allem dann, wenn Frauen versteckt werden sollten und auf einmal einem SS-Mann oder einer Aufseherin gegenüberstanden. Im Bruchteil einer Sekunde mußte eine Ausrede einfallen, die glaubhaft schien.

„Frauen mit Todesurteilen kamen zu uns und wurden in Betriebe verteilt. Die Leobenerin Mathilde Apfelbauer sollte vergast werden, weil sie von der SS so geschlagen worden war, daß sie lahme Füße gehabt hat. Sie ist also schon auf der Vergasungsliste gestanden, da war der Revierarzt dabei. Zu ihm hat die Toni Bruha, eine Wiener Sozialistin, gesagt: „Herr Doktor, wäre das nicht ein Fall für Sie?“ Er wollte immer an Häftlinge herumexperimentieren. So hat sie ihn dazu gebracht, daß die Mathilde aus dem Todesblock herausgekommen ist. Für sowas hat man Nerven gebraucht, und die haben wir dort gehabt.“

1945 gelang Hermi Jursa gemeinsam mit ihrer Genossin Mali Fritz die Flucht. Über ihre abenteuerliche Zurückkunft nach Österreich haben die beiden ein bemerkenswertes Buch geschrieben: „Es lebe das Leben. Tage nach Ravensbrück.“

Mehr Infos über Frauen in Ravensbrück finden sich hier