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EU-Verfassung - SPÖ mauert weiter!

  • Saturday, 22. September 2007 @ 11:07
Europa Mittels eines Standard-Emails reagieren SPÖ-NR-Abgeordnete auf eine Initiative der "Werkstatt Frieden & Solidarität", in welcher gefordert wird, dass die nur kosmetisch veränderte EU-Verfassung auch in Österreich einer Volksabstimmung unterzogen wird.

Caspar Einem meint z.B.: "Die Behauptung, dass die (Ratifizierung der EU-Verfassung 2005) rechtswidrig durch das Parlament erfolgt sei entbehrt der Grundlage. Es handelt sich bei dieser Vertragsänderung nicht um Eingriffe in die Grundlegenden Bauprinzipien der österreichischen Verfassung. Daher war eine Volksabstimmung nicht zwingend durchzuführen. Daran wird auch die derzeit stattfindende Regierungskonferenz aller Voraussicht nach nichts ändern."

Und warum das Volks nicht entscheiden soll, dafür hat Einem auch eine Antwort parat: "Die Wähler zu veranlassen, zwei Rechtstexte von etwa 400 Paragraphen miteinander zu vergleichen und zu bewerten, ist nicht gerade realistisch. Es hat einen guten Grund, dass diese Frage von den gewählten Vertretern der WählerInnen beantwortet werden soll: sie werden dafür bezahlt, diese Arbeit zu leisten und sie verfügen über die nötigen Hilfsinstrumente für diese Arbeit."

Nachfolgend der Mailverkehr in dieser Causa.
Offener Brief an alle Nationalratsabgeordnete

Sehr geehrte Frau NR-Abgeordnete, sehr geehrter Herr NR-Abgeordneter,

derzeit werden im Rahmen einer EU-Regierungskonferenz die Verträge der EU neu verhandelt. Mit diesem Vertrag soll Österreich den - mit wenigen kosmetischen Änderungen versehenen - Regelungen des 2005 gescheiterten Verfassungsvertrags unterworfen werden.

Diese Regelungen umfassen eine Aufrüstungsverpflichtung, die Teilnahme an einer EU-Rüstungsagentur, eine militärische Beistandsverpflichtung, die Selbstermächtigung bei Militärinterventionen auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates, die Einrichtung eines militärischen Kerneuropas und die Privilegierung der Atomindustrie. Festgeschrieben wird das Prinzip einer offenen Marktwirtschaft mit ungezügeltem Wettbewerb und somit der Druck zur Privatisierung öffentlicher Dienste und die Europäische Zentralbank als demokratiefreier Raum. Dem österreichischen Nationalrat werden weitgehende Kompetenzen - insbesondere in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik - entzogen und Gremien (EU-Rat und Ministerrat) übertragen, die demokratisch nicht mehr kontrolliert werden können. Diese Regelungen bedeuten einen grundlegenden Bruch im Verfassungsrecht und in der Rechtstradition der II. Republik. Sie sind deshalb zwingend einer Volksabstimmung zu unterwerfen.

Das österreichische Parlament hat bereits im Mai 2005 den EU-Verfassungsvertrag rechtswidrig ohne Volksabstimmung ratifiziert. Die Bundesregierung interpretiert diesen Akt als Freibrief für die Verhandlungen bei der Regierungskonferenz und plant den darauf aufbauenden neuen Vertrag ohne öffentliche Debatte und ohne Volksabstimmung über die Bühne zu bringen. Nicht in meinem Namen.

Ich fordere Sie deshalb auf, eine Volksabstimmung über die neuen EU-Verträge zu beschließen.

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Das Antwort-Schreiben von Caspar Einem

Betrifft: Volksabstimmung/EU-Vertrag Wien, im September 2007


Sehr geehrte Damen und Herren!


Haben Sie Dank für Ihr email zum Thema Volksabstimmung/EU-Vertrag. Ich bin nicht Ihrer Meinung, möchte aber gerne einige Aspekte ausführen.

Sie schreiben richtig, dass derzeit im Rahmen einer sog. Regierungskonferenz Verhandlungen über eine Änderung der heutigen Vertragsgrundlagen der EU - im wesentlichen des Vertrages von Nizza - stattfinden. Es ist auch richtig, dass dabei auf den Text des sog. Verfassungsentwurfs zurück gegriffen wird. Nicht richtig ist allerdings, dass Österreich damit einer Regelung unterworfen werden soll. Österreich sitzt als gleichberechtigtes Mitgliedsland mit am Tisch und könnte durch sein Veto den Abschluss dieses Verhandlungsprozesses blockieren. Dies allerdings nicht die Absicht der Bundesregierung. Und: Auch ich bin der Überzeugung, dass die EU eine neue Vertragsgrundlage braucht, die zumindest die Standards des sog. Verfassungsvertrages beinhaltet, der im Übrigen 2005 mit Ausnahme einer Gegenstimme nahezu einstimmig vom Nationalrat ratifiziert worden ist.

Die Behauptung, dass diese Ratifizierung rechtswidrig durch das Parlament erfolgt sei entbehrt der Grundlage. Es handelt sich bei dieser Vertragsänderung nicht um Eingriffe in die Grundlegenden Bauprinzipien der österreichischen Verfassung. Daher war eine Volksabstimmung nicht zwingend durchzuführen. Daran wird auch die derzeit stattfindende Regierungskonferenz aller Voraussicht nach nichts ändern.

Leider sind auch einige der Behauptungen im zweiten Absatz Ihres emails unzutreffend. So sieht der Vertrag keinerlei militärische Beistandsverpflichtung vor, sondern lediglich eine Solidaritätsverpflichtung bei Umweltkatastrophen. Dabei können jedoch alle Instrumente, die geeignet sind zu helfen, eingesetzt werden. Mit militärischer Beistandspflicht hat dies nichts zu tun.

Die von Ihnen behauptete Festschreibung der Marktwirtschaft mit ungezügeltem Wettbewerb ist weder heute noch morgen Vertragsgrundlage. Wenn Sie allerdings die Festschreibung einer wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft eine Absage erteilen wollen, dann sollten Sie für den Austritt aus der EU und nicht für eine Volksabstimmung zum künftigen Vertrag eintreten. Denn auch heute ist die EU bereits der Marktwirtschaft und dem Wettbewerb verpflichtet, was sich durch den neuen Vertrag ändert ist der Begriff und sein Inhalt "soziale Marktwirtschaft".

Eine Verpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ist nicht vorgesehen. Vielmehr ist es gelungen, den Artikel III 122 des sog. Verfassungsentwurfs noch weiter durch ein Protokoll zu ergänzen, das eindeutig klarstellt, dass es die Mitgliedstaaten sind, die über diese Dienstleistungen zu entscheiden haben.

Auch die Behauptung, dass immer mehr Kompetenzen an die EU übertragen und damit der demokratischen Kontrolle entzogen werden ist so nicht nachvollziehbar. Wahr ist, dass die Kompetenzen des Europäischen Parlaments deutlich ausgeweitet werden und dass damit ein Gutteil der bisher bestehenden Demokratiedefizite der EU überwunden wird.

Zuletzt noch eine Anmerkung, die gerade auch im Lichte der in Ihrem email aufgestellten Behauptungen notwendig erscheint: Sie fordern, dass die Wählerinnen und Wähler in einer Volksabstimmung die Frage beantworten, ob ihnen der Vertrag von Nizza oder der revidierte künftige Grundlagenvertrag lieber ist bzw. vorteilhafter erscheint. Es ist offensichtlich, dass Sie bereits diesen Vergleich nicht angestellt haben. Sie wollen den zu erwartenden neuen Vertrag nicht, sehen aber offensichtlich nicht, wie viel von dem, was sie kritisieren, bereits heute Rechtsgrundlage der EU ist. Die Wähler zu veranlassen, zwei Rechtstexte von etwa 400 Paragraphen miteinander zu vergleichen und zu bewerten, ist nicht gerade realistisch. Es hat einen guten Grund, dass diese Frage von den gewählten Vertretern der WählerInnen beantwortet werden soll: sie werden dafür bezahlt, diese Arbeit zu leisten und sie verfügen über die nötigen Hilfsinstrumente für diese Arbeit.

Kurz: Ich werde mich nicht für Ihr Anliegen einsetzen, weil ich es für verfehlt halte und gehe davon aus, dass es meine Fraktion (SPÖ) es ebenso halten wird.


Mit freundlichen Grüßen

Dr CASPAR EINEM e. h.

Abgeordneter zum Nationalrat
SPÖ-Parlamentsklub
Parlament
A 1010 Wien
Tel: 0043-01-40110-3392
Email: caspar.einem@spoe.at

Ps.: Eine gute Analyse der modifizierten EU-Verfassung, erarbeitet von Pierre Khalfa, Mitautor der Charta für ein anderes Europa und Teilnehmer des Europäischen Sozial Forums (ESF), findet sich unter http://www.kpoe.at/bund/html/eu_vertrag.html