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Neoliberale Theater-Reform

  • Thursday, 28. June 2007 @ 11:44
Kultur und Bücher Betrifft: "Mailath-Pokornys GZDGTAZ" und "Der Theatermacher und die Kunstbarbaren" - publiziert im Standard, 15./19. 6. 2007

Nachfolgender Beitrag ist als "Kommentar der anderen" im Standard vom 26. Juni 2007 erschienen. Im Namen aller Betroffenen stellen wir bisher nicht zur Sprache gebrachte Fakten zur öffentlichen Diskussion.

Das neue Kuratorium der "Wiener Off-Szene" verfügt aus unserer Sicht weder über ein ausreichendes Konzept noch über eine historisch fundierte Definition von freiem Theater- und Tanz-Schaffen in und für diese Stadt. Die so genannte "freie Szene" wird bloß als "Sprungbrett für das Burgtheater" gesehen und ihrer historischen Eigenständigkeit beraubt.

Das Kuratorium agiert nicht im Sinne der Kunstschaffenden, sondern ist zunehmend Handlanger einer von oben verordneten Spar- bzw. Umverteilungspolitik. Viele KollegInnen, die offen, diskursiv und kritisch agieren und schon seit Jahrzehnten im In- und Ausland erfolgreich arbeiten, werden von vornherein ausgeschaltet: Statistisch auffällig ist die Anzahl von Frauen über 40 sowie von gesellschaftspolitisch aktiven und interkulturell engagierten KünstlerInnen und Gruppen, die abgelehnt wurden. Auch ist der interkulturelle Bereich, der in der Theaterstudie betont wurde weit entfernt von einer ausreichenden Dotierung! Verdienstvolle migrantische KünstlerInnen bleiben unberücksichtigt.

Das Kuratorium arbeitet jenen Kräften in die Hände, die eine Monopolisierung und Festivalisierung von Kunst und Kultur anstreben, durchaus geschmückt mit Elementen von Pop und "Avantgarde light". Vorherrschend ist ein vermarktungstechnisch orientiertes Kunstmanagement, das die Fundamente freien Kunstschaffens - Forschung, Entwicklung und Experiment - aushöhlt, wobei anstatt authentischer Projekte "corpororate-art" den Kunstbetrieb dominiert. Im Gegensatz zu dieser Markt-konformen Praxis braucht das freie Theater- und Tanzschaffen ein völlig neues Fördersystem, das die Vielfalt der Arbeitsweisen spiegelt, unterstützt und weiterträgt, anstatt bloß zu "evaluieren".

Die von der Sozialdemokratie und ihrer Kulturpolitik über Jahrzehnte gestellte Forderung nach Aufstockung der Budgets für freischaffende Kunst ist offenbar bereits fallen gelassen. Es wird nur mehr über die Umverteilung von unten nach oben verhandelt. Hier zeigt die "Theaterreform" ihren neoliberalen Charakter. Die öffentliche Förderung hört im Wesentlichen auf, Kunst und Wissenschaft sollen - auch inhaltlich-ästhetisch - (Konzern-)Interessen überantwortet werden. Die Besetzung des Kuratoriums erfolgte nach Auswahlkriterien, die entgegen jeglicher Absicht der Theaterstudie untransparent blieben. In erster Linie scheint die Bestellung im Interesse der Politik und nicht der Kunst zu funktionieren, wie man zuletzt - demonstriert in der Antwort der KuratorInnen auf Regisseur Robert Quittas kabarettistisch-literarischer Satire auf die Reform - sehen konnte. Dies war eine zynische "Vernaderung" eines angesehenen Künstlers der freien Szene, der seine Rechte in der Öffentlichkeit nutzte, um Stellung zu beziehen. Es war eine schwache Verteidigung von Instanzen, die plötzlich zur Macht gelangen und diese missbrauchen, anstatt mit Herz, Verstand und Liebe zum Theater zu agieren.

Der Aufruf wurde von namhaften österreichischen Künstlerinnen und Künstlern unterzeichnet: u. a. Armin Anders, Eva Brenner, Nikolas Dabelstein, Elio Gervasi, Elfriede Jelinek, Olga Neuwirth, Gerhard Ruiss, Marlene Streeruwitz, Helene Weinzierl.