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Terror, Terrorbekämpfung und die geliebte Demokratie

  • Wednesday, 23. May 2007 @ 10:18
Der russische Präsident besucht Wien. Selbst der ORF übt sich in kritischer Berichterstattung. Der Hinweis auf Raketen mit Atomsprengköpfen und die Erdgas-Waffe, über die der ehemalige Geheimdienstmann verfügt, darf auch nicht unterbleiben. Einige Anmerkungen von Ludwig Swoboda zum Thema der Woche. Die meiste Kritik, die gegen Wladimir Putin vorgebracht wird, trifft - dies ist keine Frage - wunde Punkte. Doch das Strickmuster der Berichterstattung sollte hinterfragt werden - nichtzuletzt weil es etwas einfach ist. Während "Jelzin Russland zu Demokratie und Marktwirtschaft führte", so die meisten Kommentatoren inklusive ORF, stehe Putin für die Einschränkung der Demokratie und für den Krieg in Tschetschenien.

Meinungsfreiheit und plurale Medien existieren heute in Russland, sofern dies aus der Distanz beurteilt werden kann, nur mehr in Ansätzen. Das russische Fernsehen wird direkt und indirekt durch den Kreml kontrolliert, unabhängige Zeitungen werden durch hohe Geldstrafen zur Aufgabe gezwungen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat - laut Wikipedia - auch im letzten Jahr die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen für russische Journalisten kritisiert.

Doch was unterscheidet die Situation denn nun von Österreich, Deutschland, Frankreich oder den USA? Zeitungen gibt es in all diesen Ländern gar viele, aber ist Quantiät eine Maßeinheit für Qualität? Was bedeutet es für die Demokratie eines Landes, wenn die "Kronen-Zeitung", in Relation zur Einwohnerschaft, weltweit gesehen die größte und damit mächtigste Tageszeitung ist? Ist in all unseren bunten Zeitungen und Zeitschriften wirklich unterschiedliches zu lesen? Ist es nicht so, dass ein paar große transnationale Presseagenturen und große Medien-Konzerne bestimmen, was am Abend in zig deutschsprachigen TV-Stationen zu sehen und am Tag danach in den Zeitungen zu lesen ist?

"In Österreich existieren Parteien und ein Parlament". Ja, natürlich. Ein Parlament exisitert aber auch in Russland. Und Putin wurde bei Wahlen, die selbst nach westlichen Standards als freie Wahlen bezeichnet wurden, gewählt. Zu befürchten ist freilich, dass die Menschen in Russland nur zwischen neoliberaler Pest und neokonservativ-liberaler Cholera wählen können - womit eine weitere Parallele zu Österreich gegeben wäre. Laut einigermaßen ernstzunehmenden Meinungsumfragen unterstützen auch gegenwärtige mehr als 2/3 der Russen Putins Politik. Das permanente Indokrination viele Hirne vernebeln kann, ist aber aus der Geschichte ja hinlänglich bekannt.

Zu bezweifeln ist der von westlichen Medien kolportierte Vorwurf, dass Putin die Marktwirtschaft liquidieren will. Andererseits - wahrscheinlich würden mehr als 100 Millionen Menschen in Russland jubeln, wenn die marktwirtschaftlichen Segnungen der Jelzin-Ära rückgängig gemacht werden könnten. Denn in der Jelzin Zeit wurden zwar einige hundert bzw. tausend Personen Dollar-Millionäre, doch Millionen Menschen bezahlten die Zeche - die gigantische Umverteilungsaktion von Vermögen, die nur als staatlich ermöglichter Raub am Volk bezeichnet werden kann - mit dem sozialen Abstieg. Hat Jelzin Millionen angeschmiert und um ihre Existenzgrundlagen gebracht, so schaffen es heute die meisten Oligarchen doch ins westeuropäische Exil - und ihre fetten Bankkonten sind ja schon lange dort. Und manche, wie Abramowitsch, leisten sich für gar stolze Summen teure Hobbys.

Bleibt als Vorwurf der bestialische Krieg gegen die Menschen in Tschetschenien! Putins beteuert, es gehe um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die Erkenntnis, dass Krieg nur zu noch mehr Hass und Mord führt, dass nicht erst seit gestern Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch Bestandteil von Krieg sind, interessiert Putin aber sowenig wie Bush - schließlich handelt sich ja nur um unvermeidbare Kollateralschäden. Bush glaubt Putins "Terrorbekämpfungsbeteuerungen" (zumindest offiziell) nicht. Doch wer in Afghanistan, im Irak und an all jenen Orten, wo es um geopolitische und/oder ökonomische Interessen der USA geht, die geliebte Demokratie und den "American Way of Life" mit Bomben, Rakten und GIs, Coca-Cola und McDonald´s durchsetzt, sollte auch mißtrauisch sein. Denn allzuoft lernen begierige Schüler allzu schnell.