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Selma Steinmetz war eine mutige Widerstandskämpferin

  • Friday, 4. May 2007 @ 10:03
Antifaschismus Rede von Genossin Irma Schwager, gehalten am Straßen-Umbebenennungsfest im Stuwer-Viertel am 20. April 2007. Für mich, die ich in der Leopoldstadt geboren und aufgewachsen bin, ist es eine große Freude, dass KünstlerInnen und Menschen aus dem Stuwerviertel beschlossen haben, die Arnezhoferstraße in Selma Steinmetzstraße umzubenennen. Arnezhofer war ein antisemitischer Pfarrer im 17. Jahrhundert, der mitverantwortlich für die Judenvertreibung aus der Leopoldstadt war. Selma Steinmetz war eine bewundernswerte mutige Widerstandskämpferin.

Ich habe nie gewußt, wer Arnetzhofer war, obwohl ich hier in der Wolfgang Schmältzlgasse in meiner Jugend gearbeitet habe. Jetzt weiß ich, dass Josef Arnezhofer der 1. Pfarrer der Kirche St. Leopold war, die auf dem Grund der abgerissenen Synagoge gebaut wurde. Er hat das Volk gegen die Juden aufgehetzt, „hat es als dringliche Aufgabe betrachtet, sein Christenvolk vor den schändlichen Juden zu bewahren.“

Was solche antisemitischen Hassprediger aus Menschen machen können, habe ich hautnah 1938 erlebt. In der großen Pfarrgasse, ganz nahe der Leopoldskirche, habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht. Ich erinnere mich noch gut, wie schon in der ersten Nacht nach dem Einmarsch der deutschen Armee eine richtige Pogromstimmung in der Leopoldstadt herrschte. SA-Trupps marschierten durch die Gassen und gröllten: „Deutschland erwache, Juda verrecke, ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Die Verfolgung und Verhaftung der Nazigegner hat sofort begonnen. Juden wurden zum Straßenwaschen geholt, um sie zu demütigen, und das diente der „Volksbelustigung“. Die Wachleute trugen rote Hakenkreuzbinden, und man hat sich an niemanden um Schutz wenden können. Man war praktisch vogelfrei.

Während in der Leopoldstadt Menschen gezittert haben, wurde auf der Ringstraße von Massen gejubelt, die der Lügenpropaganda und antisemitischen Hetze der Nazi geglaubt haben. Heute weiß man, wie viel unsagbares Leid und Vernichtung die grausame faschistische Diktatur und der Krieg die Menschen gekostet hat. 50 Millionen Tote in Europa, darunter 6 Millionen Juden. 38.000 junge Österreicher sind in diesem verbrecherischen Krieg gefallen. Mit Gefängnissen, Folter, Hinrichtungen und Gaskammern haben die Hitlerfaschisten, mit ihrer Gestapo, SA und SS ihre Schreckensherrschaft aufrechterhalten.

Diese bitteren Erfahrungen aus den dunklen Jahren unserer Geschichte dürfen wir nicht vergessen. Denn bis in unsere Gegenwart wird mit Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit versucht, die Menschen aufzuhetzen und zu manipulieren. Erinnern wir uns an die Wahlplakate der FPÖ im letzten Nationalratswahlkampf, den Sager des Herrn Westenthaler, er möchte 30.000 Ausländer deportieren, an die unmenschlichen Bedingungen der Asyl- und Abschiebepraxis und nicht zuletzt an die Brutalität mancher Polizisten, die zum Tode von Marcus Omofuma und Cheibani Wague führten. Dem müssen wir alle entschieden entgegentreten, wie auch Selma Steinmetz es ein Leben lang getan hat.

Wer war Selma Steinmetz? Der kleinen zarten Frau mit den freundlichen braunen Augen hätte man auf den ersten Blick kaum diesen Mut und den kämpferischen Widerstand zugetraut.

Selma wurde am 1.9.1907 geboren und ist am 18.6.1979 gestorben. Selma Steinmetz studierte Germanistik, Literatur und Pädagogik. Als Lehrerin bekam sie in der Zeit des Austrofaschismus keine Stelle, denn sie war eine sozialdemokratische Jüdin. Sie ging nach Paris und flüchtete beim Einmarsch der deutschen Armee in den noch unbesetzten Teil Frankreichs in den Süden. Das Leben der Emigranten war dort gar nicht leicht. Sie litten an Geld- und Nahrungsmittelmangel, wohnten in unbeheizten Räumen und wurden häufig von den Behörden schikaniert.

Selma erzählte, sie wohnte einmal in einer Baracke, wo an den Wänden Eiszapfen hingen. In dieser Zeit half sie bei den Quäkern mit und verdiente sich durch Heimarbeit mit der Erzeugung von Lederbörsen etwas Geld.

1942, als die deutschen Truppen ganz Frankreich besetzten, ging sie unter falschen Namen in die absolute Illegalität und schloß sich dem aktiven Widerstand an. Im Rahmen der französischen Resistance hatten österreichische Kommunisten die mündliche und schriftliche Aufklärungsarbeit unter den Besatzungssoldaten übernommen. Mit Flugblättern, Zeitungen, Arbeit bei den Besatzungsstellen, aber auch mit persönlichen Kontakten und Gesprächen wurde die mühsame Überzeugungsarbeit geleistet. Man nannte sie „Travaille allemande“ („TA“ – Deutsche Arbeit). Selma und ihr Lebensgefährte Oskar Großmann waren mit der Herstellung der Zeitung „Soldat am Mittelmeer“ beschäftigt.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie gefährlich und schwierig diese Arbeit war. Anfangs machte die Überzeugungsarbeit große Schwierigkeiten. Durch die Erfolge des so genannten „Blitzkriegs“, der Besetzung eines Landes nach dem anderen in Europa, gab es einen Mythos der Unbesiegbarkeit der deutschen Armee. Die Nazipropaganda von der Überlegenheit der „arischen Rasse“ und die Diffamierung von Slawen, Juden und anderer Völker, aber auch die Diffamierung der Demokratie zeigte ihre Wirkung. „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ sang die fanatisierte Jugend.

Erst nach Stalingrad, als die Rote Armee immer weiter vormarschierte, fanden wir bei immer mehr Soldaten ein offenes Ohr und manchmal auch Mithilfe bei der Verbreitung unserer Flugblätter. Vieles, was sie selbst an den Fronten erlebten, hat ihnen die Augen über den wahren Charakter dieses verbrecherischen Krieges geöffnet. Trotzdem ist noch gekämpft und gestorben worden, als für die Nazifaschisten der Krieg schon verloren war.

1944 wurden Selma Steinmetz und ihr Lebensgefährte Oskar Großmann verhaftet. Beide wurden schwer gefoltert. Der Wiener Gestapomann Tucek hat Selmas Hände und Beine mit Ketten gefesselt, sie mit Fäusten und Ochsenziemer geschlagen und ihren Kopf unter Wasser getaucht, dass sie jedes Mal geglaubt hat, sie muß ersticken. Ihr Lebensgefährte hat die Folter nicht überlebt. Selma kam schließlich in das berüchtigte Lager Drancv, von wo aus die Transporte nach Auschwitz zusammengestellt wurden. Im letzten Moment wurde Selma am 17.8.1944 von der französischen Resistance befreit.

Gegen ihren Folterer Tucek wurden in Wien 1948 die Ermittlungen eingestellt. In Paris wurde er 1949 zu fünf Jahren Kerker verurteilt.

1945 ist die mutige Widerstandskämpferin Selma Steinmetz nach Wien zurückgekehrt. Sie arbeitete als Bibliothekarin in den städtischen Büchereien. 1947 wurde sie Leiterin der Filiale in der Leystraße. In vielen Artikeln hat sie über Bildungsfragen, Literatur und gegen die Verletzung der Menschenrechte geschrieben. Besondere Beachtung fand ihre Monographie über das Schicksal der „Zigeuner“ im Nationalsozialismus. Sie war die erste, die über die Minderheiten der Sinti und Roma, die bereits über 300 Jahre in Österreich gelebt hatten, wissenschaftlich geforscht und geschrieben hat.

Ab 1963, von der Gründung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), bis zu ihrem Tod hat Selma bei der Dokumentation und Erforschung des Widerstandes einen wichtigen Beitrag zur bedeutungsvollen Arbeit dieser Institution geleistet.

Ich habe Selma Steinmetz, die mutige und konsequente Widerstandskämpferin, gut gekannt und sehr geschätzt. Ich danke Ihnen, dass Sie zu ihrem hundertsten Geburtstag dieser Straße ihren Namen geben und sie so gebührend ehren. Hoffentlich trägt das dazu bei, dass auch die Behörden unsere schöne Wienerstadt von allen Namen der Nazis und Antisemiten reinigen und möglichst viele Straßen und Plätze nach Frauen und Männern benennen, die unter Einsatz ihres Lebens mitgeholfen haben, den Faschismus zu besiegen und damit auch die Wiederherstellung eines freien und demokratischen Österreichs ermöglicht haben.

Faschismus, Krieg, Rassismus und Antisemitismus sind keine Naturgewalten, denen man ohnmächtig gegenübersteht. Sie haben ihre Ursachen und ihre Förderer. Die muß man konsequent bekämpfen, wenn man Frieden und eine humane Welt will. So wie das auch Selma Steinmetz es uns vorgelebt hat

Es lebe die Selma Steinmetzstraße!