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A Letter to the Stars - Eine Kritik

  • Wednesday, 10. May 2006 @ 13:09
Österreich A Letter to the Stars – Eine Kritik der Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen

Das Schulprojekt “A Letter to the Stars” ging heuer mit “Blumen der Erinnerung” in die vierte Runde. Der Homepage entnehmen wir, dass am 5. Mai 2006 80.000 weiße Rosen auf dem Wiener Stephansplatz zu einem „beeindruckenden Mahnmal“ geformt und „Tausende“ Kerzen angezündet wurden. Anschließend sollten die Rosen mit Namen und Adressen von Opfern des Nationalsozialismus versehen und von Jugendlichen an jene Orte gebracht werden, an denen die Opfer vor ihrer Deportation gewohnt haben. Auf der Homepage von “A Letter to the Stars” heißt es dazu: „Am 5. Mai 2006 tragen wir 80.000 weiße Rosen mit den Namen der Opfer zu allen Adressen in Österreich, an denen die Opfer vor ihrer Vertreibung – als unsere Nachbarn – gelebt haben.“

Der positive Grundgedanke

Den Grundgedanken, Jugendliche mit etwas anderen Mitteln dazu zu bringen, sich mit der Ermordung von Millionen von Menschen während der NS-Herrschaft zu beschäftigen, halten wir grundsätzlich für positiv. Mit der Verortung von NS-Verbrechen in der Nachbarschaft wählt die diesjährige Aktion immerhin einen Zugang, der auf die Lebenswelt der Jugendlichen zu- und eingeht. Das ermöglicht es, individuelle Lebensgeschichten kennen zu lernen und mit der Gegenwart, dem Stadtbild oder auch der Wohnumgebung in Verbindung zu bringen. Auch in der Formulierung „alle Adressen, an denen die Opfer als unsere Nachbarn gelebt haben“ erkennen wir einen (allerdings äußerst verhaltenen) Hinweis darauf, dass es in Österreich auch Nicht-Opfer gegeben hat und noch gibt.

Event vor Auseinandersetzung

Wie schon in den Vorjahren, so überstrahlt aber auch in diesem Jahr der Eventcharakter der Veranstaltung die inhaltliche Auseinandersetzung. Wir fragen uns, wie dieses gigantomanische Arrangement mit einem „würde- und respektvollen“ Gedenken an die Ermordeten vereinbar sein kann. 80.000 Rosen können den Strategien der Entmenschlichung durch die NS-Vernichtungspolitik nichts entgegensetzen, weil sie auf der Ebene des Gedenkens die Ausmaße dieser Politik noch einmal zu verdoppeln versuchen. Bewusst wird das Gedenken auch auf eine quantitative Dimension der Shoah zugespitzt und in Kauf genommen, dass die Arbeit, den Opfern ein Gesicht, eine Lebens- und Leidensgeschichte zu geben, woanders stattfinden wird.

Kein pädagogisches Konzept

Dem Projekt mangelt es durch diese Ausrichtung am Event auch durchgängig an einem geeigneten Konzept, das nicht nur auf eine öffentlichkeitswirksame Inszenierung hinführt, sondern auch Vorgaben und Hilfestellungen für die pädagogische Umsetzung macht. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah bleibt vom individuellen Engagement einzelner LehrerInnen abhängig.

Historische Ungenauigkeiten

Dass das Projekt Betroffenheit vor Einsicht und Auseinandersetzung stellt, macht es ihm vermutlich auch leicht, über bestimmte historische Ungenauigkeiten hinwegzusehen. So wird die runde Zahl von 80.000 Opfern des Nationalsozialismus in die Öffentlichkeit gestellt, ohne zu erwähnen, dass es sich hier um eine grobe Schätzung handelt. Die Basis des ganzen Vorhabens – eine Datenbank des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) über die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaust-Opfer – umfasst selbst aber nicht 80.000, sondern über 62.000 Namen von rund 65.000 Ermordeten. Wie diese Diskrepanz zustande kommt, wird von den Veranstaltern nicht offen gelegt.

Gedenken an jüdische Opfer – oder doch nicht? An sich wäre diese Ungenauigkeit nicht so wichtig, da wir wissen, auf welche Schwierigkeiten eine klare quantitative Aussage über die Opferzahlen trifft. Diese Ungenauigkeit ist hier aber von ganz zentraler Bedeutung. Bei der Datenbank handelt es sich nämlich um eine Erfassung der jüdischen Ermordeten aus Österreich, ohne dass „A Letter to the Stars“ das explizit anspricht. Obwohl es bei der Aktion also ausschließlich um die jüdischen Opfer der NS-Vernichtungspolitik geht, werden Begriffe wie Shoah, Holocaust, Juden, Jüdinnen und sogar Antisemitismus konsequent gemieden. Eine Erklärung dafür bietet die Aussage von Andreas Kuba im Interview mit der Journalistin Hannah Fröhlich im Jahr 2003: “Bei unserem Projekt geht es ganz bewusst nicht um Antisemitismus. Das Projekt ist nicht dazu da, Antisemitismus zu bekämpfen. Wir sind nicht gegen etwas, sondern für etwas.” (Context XXI, 2-3/2003) Drei Jahre und zahlreiche Kritiken später hat sich an diesem Grundsatz von “Letter to the Stars” nichts geändert, denn das scheint ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezepts zu sein. Konsequent isoliert der Zugang von “A Letter to the Stars” daher auch die Deportation und Ermordung von der spezifischen Vorgeschichte und den Vorstufen der Vernichtung von Jüdinnen und Juden: dem Antisemitismus, ihrer Definition und Kennzeichnung, den gewalttätigen Übergriffen und Pogromen, den An- und Enteignungen ihres Eigentums und ihrer Wohnungen, den Schul- und Berufsverboten, den Vertreibungen, der Zerstörung ihrer Selbstverwaltung und ihrer religiösen Einrichtungen, der Ghettoisierung usw. Absichtlich oder unabsichtlich verwischen die Projektinitiatoren auch zwei Phasen der NS-Vernichtungspolitik. Bei den Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager handelt es sich keineswegs um “Vertreibungen”, wie die Veranstalter schreiben. Vielmehr schließen die Deportationen an eine Politik der Vertreibung erst an, von der wiederum mehr als 120.000 jüdische ÖsterreicherInnen betroffen waren, die gar nicht erwähnt werden. Wir finden, dass eine Sichtweise auf die Vielfältigkeit und Komplexität der Geschichte der Shoah der Öffentlichkeit und den Jugendlichen zumutbar ist und sein muss.

Betroffenheit anstelle der Thematisierung von Täterschaft

Durchgängig vermeiden die Veranstalter Hinweise auf TäterInnen, ProfiteurInnen, UnterstützerInnen und zustimmende ZuschauerInnen und blenden daher konsequent die „andere“ Seite der Geschichte aus, die Jüdinnen und Juden erst zu Opfern gemacht hat. Nehmen wir das Projekt nur für sich, könnte fast der Eindruck entstehen, die Deportationen seien vom Himmel gefallen. Ist auf der Homepage die Erwähnung von Täterschaft unvermeidbar, wird sie passiv umschrieben: „Und sie erinnern daran, dass die Ermordeten Nachbarn, Bekannte oder Freunde waren, die gewaltsam aus der Gesellschaft gerissen wurden.“ Stephan Roth hat die Problematik der Identifikation mit den Opfern ohne Blick auf die TäterInnen richtig benannt: “Das führte in vielen Fällen zu Betroffenheit, mit der die Jugendlichen allein gelassen wurden. Betroffenheit aber ist eine Kategorie, mit der nichts anzufangen ist. Der Blick auf die Täter, Mitläufer und Zuschauer – deren Nachkommen die Jugendlichen größtenteils sind –, wurde bei Letter to the Stars vermieden.“ Nur unbeabsichtigt “rutscht” den Initiatoren immer wieder die Offenlegung ihrer eigenen Identifikationen mit Österreich als Tätergesellschaft heraus.

Die symbolische Umsetzung

Auch eine Begründung der verwendeten Symboliken lässt das Projekt vermissen. Warum weiße Rosen gewählt und nicht Steine – das traditionell jüdische Symbol für das Erinnern an die Verstorbenen? (Ah, das wäre ja wieder zu jüdisch gewesen...). Bei den weißen Rosen hingegen gibt es Anklänge an die jugendliche Widerstandsgruppe, die mittlerweile selbst unter österreichischen Jugendlichen breit popularisiert sein dürfte. Die weißen Rosen befördern daher Identifikationen mit Widerständigkeit und wiederholen damit auf der symbolischen Ebene das Ausblenden der TäterInnen-Perspektive. Gleichzeitig ist die Farbe weiß aber auch mit gegenläufigen Bedeutungen verbunden, mit Unschuld und Unberührtheit und unterstellt damit einen Opferbegriff, der selbst frei von Widerständigkeit und außerhalb von Politik gedacht werden soll. Dass die Veranstalter mit der Farbe weiß bewusst ein jüdisches Symbol der Trauer wählen wollten und damit prompt daneben gegriffen haben, möchten wir nur nebenbei noch erwähnen. Schließlich zum Ort. Dass dieses Mahnmal am Stephansplatz – dem Zentrum des mittelalterlichen und katholischen Wien – aufgestellt wird, soll daher auch vermutlich nicht zum Gedenken an den christlichen Antisemitismus und die Involvierung der katholischen Kirche in die Shoah anstoßen. Wieder geht es darum, eine malerische Kulisse bereit zu halten, die erst kürzlich von der neuen Bezirksvorsteherin zur politikfreien Zone erklärt worden ist. Möglicherweise ergibt sich dadurch ein Tourismusfaktor. Unseres Erachtens – auch als VertreterInnen verfolgter Frauen des NS-Regimes – konnte fast kein unpassenderer Ort gewählt werden.

Zur Vermeidung eines Gegenwartsbezugs Fehlt dem Projekt die Richtung einer fundierten historischen Auseinandersetzung, meidet es auch gleichermaßen Bezüge zur Gegenwart. Der „Nationale Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ dient nur als Aufhänger, während sich die Initiatoren explizit von so „negativ“ konnotierten Begriffen wie Gewalt, Rassismus oder Antisemitismus distanzieren.

Schuldige Sponsoren

Für die Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen ist es besonders unverständlich, warum der Firma Siemens hier über ein Sponsorship die Gelegenheit zur Imagepflege gegeben wird, ohne gleichzeitig auf deren Einsatz und grausame Ausbeutung von KZ-Häftlingen des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück hinzuweisen. Erst vor wenigen Jahren und erst nach der Zusicherung der Rechtssicherheit war Siemens bereit, in einen Fonds zur Entschädigung von SklavenarbeiterInnen einzuzahlen. Die von Kuba/Neumayr bzw. Siemens Österreich wiederholt vorgebrachte Ausrede, Siemens Österreich habe mit dieser Sache nichts zu tun, versucht zu leugnen, dass der Reichtum der Fa. Siemens und damit auch der österreichischen Dependance wesentlich mit den Profiten aus der NS-Zwangs- und Sklavenarbeit zusammenhängt. Auch ein weiterer Sponsor scheint einiges zu verbergen zu haben, denn ein Blick in die online zur Verfügung gestellte Firmengeschichte der Wiener Städtischen fördert nichts als ein einziges “Loch” zwischen 1938 und 1945 zutage. Allgemein ist allerdings bekannt, dass gerade Versicherungen von der Enteignung, Vertreibung und Ermordung der Jüdinnen und Juden sehr leicht profitieren konnten.

Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen