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Weibliche Spiegelbilder

  • Wednesday, 1. March 2006 @ 10:05
Frauen Ich schaue in den Spiegel und sehe meine uralte Mutter, die nur noch wenig wahrnimmt. Meine Tochter schaut in den Spiegel und sieht mich alternde Frau. Ihre kleine Tochter schaut in den Spiegel und sieht das müde Gesicht meiner älter gewordenen Tochter. Vier Frauengenerationen und das immer gleiche Spiegelbild: Überlebensfragen im neoliberalen Alltag. Mit meiner neuen Krone frisch vom Zahnarzt gekommen, sagt meine Tochter zu meinem Spiegelbild, sie werde sich so etwas später bestimmt nicht leisten können. Ob ihre Kinder einmal studieren können, ist auch fraglich. Meine Tochter ist Alleinerzieherin und zählt zum weidlich bekannten weiblichen Armutspotenzial. Mit ihrem prekären Job, in welchem sie sich jeden Sommer arbeitslos melden muss, würde sie schon jetzt ohne unsere Hilfe kaum zurecht kommen. Auch ich war eine Zeit lang Alleinerzieherin und auf die Hilfe meiner Mutter bei der Kinderbetreuung angewiesen. Heute ist meine gebrechliche 93-jährige Mutter auf meine Hilfe und die meines Mannes oder ihrer Enkel- und Urenkelkinder zurückgeworfen. So läuft das nun schon seit Generationen über Jahrzehnte hinweg: Ohne gegenseitige Hilfe und ehrenamtliche Arbeit im so genannten privaten Bereich, ohne diese Art Generationenvertrag funktioniert nichts. Meine Mutter, Jahrgang 1912 und in ihren besten Frauenjahren mit den Überlebenskämpfen in einem Vernichtungskrieg beschäftigt, hätte es ohne die Hilfe meiner Großmutter nicht geschafft, vier Kinder groß zu kriegen. Ich, Jahrgang 1943, hätte es damals auch nicht gekonnt, meine beiden Töchter durchzubringen, wenn ich nicht auf die mütterliche Hilfe bei der Kinderbetreuung hätte bauen können. Und genau so geht es heute meiner Tochter, Jahrgang 1965, mit ihren zwei Kindern.

„Kreislauf der Windeln“

„Im Kreislauf der Windeln“ lautete der Titel eines Buches zu eben diesem Thema: Der Fortschritt schreitet, und die Frauen treten auf der Stelle. Über vier Frauengenerationen hinweg die immer gleichen Fragen: Wie schaffen wir es, unsere Kinder angesichts mangelhafter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nicht nur satt und groß zu kriegen, sondern ihnen auch die beste Förderung zukommen zu lassen? Wie gelingt es uns, beruflich vorwärts zu kommen, durch Erwerbsarbeit zu überleben und sozial abgesichert zu sein - auch und gerade im Alter oder bei Krankheit? Woher nehmen wir Kraft und Zeit für unsere eigenständige Entwicklung?

Neoliberaler Alltag heißt die heutige Frauenrolle rückwärts. Mütter, die sich zwischen verschiedenen MacJobs abstrudeln und trotz Arbeit arm sind, bringen es kaum einmal zu einem eigenen Pensionsanspruch und haben auch nicht das notwendige Kleingeld für eine private Altersvorsorge. Gerade jetzt wieder wird für die private Vorsorge geworben, die ab kommendem Jahr empfindlich teurer wird. Hatten sie uns denn nicht einmal den so genannten Generationenvertrag versprochen, der solidarisch Altersarmut verhindern sollte? Hatte die Generation meiner Mutter denn nicht den Kriegsschutt mit bloßen Händen beseitigt und am Aufbau eines Wirtschaftswunderlandes mitgewirkt? Hatte meine Generation denn nicht zu knapp gearbeitet und entsprechend üppig in die Steuer- und Sozialversicherungskassen eingezahlt? Hat denn die Generation meiner Tochter nicht fleißig studiert und gearbeitet und trotz Doppelbelastung geliebt und Kinder gemacht?

Und nun?

Nun ist meine Mutter auf meine Pflege angewiesen, weil sie sich kein gutes Altersheim leisten kann; nun bin ich als Pensionistin wieder im „Kreislauf der Windeln“ angelangt und betreue Mutter und Enkelkinder, weil die öffentlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ungenügend sind; nun wird der Generation meiner Tochter eine existenzsichernde Erwerbsarbeit und eigenständige Altersabsicherung verweigert, aber so viel Energie für existenzielle Überlebensfragen abverlangt, dass sie kaum zum Schnaufen kommt; und nun wird meinen Enkeltöchtern erzählt, dass es für sie später keine Lehr- und Studienplätze geben wird. Was ist denn das für eine Gesellschaft, die so achtlos mit ihrem weiblichen Potenzial umgeht? Was ist das für ein gesellschaftlicher Fortschritt, der uns Frauen in dem immer gleichen Hamsterradl rotieren lässt?

Natürlich hat sich im Laufe von vier Generationen etwas verändert – die Waschmaschine, die Karenzzeit, der Konsum, das Internet, das Auto, die Lebenserwartung, der Reichtum ... Im neoliberalen Alltag werden sich aber vor allem Alleinerzieherinnen die Waschmaschinenreparatur, den Wellness-Konsum oder das Benzin fürs Autofahren nicht mehr leisten können; die sozialen Errungenschaften wie Kündigungsschutz, Karenzgeld oder Zutritt zu einer umlagenfinanzierten Pensionsabsicherung, die (Frauen) Generationen zuvor erkämpft haben, werden handstreichartig gekappt; das Internet bietet keine lukrativen Jobs, aber einen Blick in alle Möglichkeiten dieser Welt; und der vorhandene gesellschaftliche Reichtum, laut Statistik verfügt jede und jeder in Österreich über ein Vermögen von 400.000 Euro, zieht sowieso spurlos an uns vorbei.

Nur die höhere Lebenserwartung, die wird uns bleiben. Und daraus wird uns die neoliberale Politik noch einen Strick drehen. Schon jetzt gelten die Alten, die Arbeitslosen und Kranken, die Behinderten und MigrantInnen als Sozialschmarotzer, die unnütz das Budget belasten. In der Welt der Kosten-Nutzen-Analysen, in welcher die öffentlichen Dienstleistungen dem privaten Gewinnstreben ausgeliefert und die Sozialbudgets gekürzt werden, besteht keine Aussicht auf Gnade für all jene, die dem haargelglatten Erfolgstypmenschen nicht entsprechen.

Bärbel Danneberg, KPÖ-Aktivistin