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10 Jahre Augustin - ein verwirklichter Traum?

  • Saturday, 1. October 2005 @ 22:26
Die KPÖ gratuliert dem Augustin zum 10-jährigen Jubiläum und überreicht zum Geburtstagsfest eine Torte. Presseinformation des Augustin
10 Jahre Augustin - Ein verwirklichter Traum?


Der Augustin, Wiens Straßenzeitung, feiert am 1. Oktober seinen zehnjährigen Geburtstag. Die Gründerinnen und Gründer werden aus diesem Anlass immer wieder gefragt, was sich in diesen zehn Jahren geändert hat. Hier der Versuch einer Bilanz. Vorneweg der Schluss: Der Augustin ist kein verwirklichter Traum. Denn die Gründerinnen und Gründer hätten vor zehn Jahren nicht einmal im Traum vorwegnehmen können, wie sich ihr "Kind" entfalten würde ...

VOR 10 JAHREN hatte der Augustin 6 Verkäuferinnen und Verkäufer. Mehr meldeten sich nicht, denn die Straße wollte mit der Stadt nichts zu tun haben. Die Obdachlosen glaubten, sie hätten es mit einem Rathausprojekt zu tun. Alle 6 beherrschten das Meidlinger L.

HEUTE hat der Augustin 450 registrierte Verkäuferinnen und Verkäufer und eine Dunkelziffer von Pfuscherinnen und Pfuschern ohne Ausweis. Das Vertriebsbüro ist eine Partnerstadt von Babylon. Rund 40 Muttersprachen ergeben das Allgemeine Augustin-Geraune. Ein durchschnittlicher afrikanischer Kolporteur kann seinen Charme in fünf Sprachen ausdrücken: auf Deutsch, auf Englisch, auf Französisch und in zwei afrikanischen Sprachen. Die Meidlinger entdeckten, dass das Russische L wie ihr eigenes klingt. Eine gute Basis für die Zusammenarbeit.

VOR 10 JAHREN war der Augustin 24 Seiten dünn und erschien einmal im Monat. Die besten Artikel waren jene, die aus guten Zeitungen gestohlen worden waren, und die autobiografischen Berichte des Wiener Sandlerkönigs. Schon damals stand der Augustin im Dienst der Volkserziehung: der Sandlerkönig berichtete, wie man mit der Eisenbahn von Wien bis Malaga fährt, ohne zu bezahlen, und wie man ein Haus besetzt.

HEUTE ist der Augustin 56 Seiten dick und erscheint zweimal im Monat. Weil die Texte der vielen eigenen Schreiberlinge spannender als die Artikel der anderen Zeitungen sind, wird nichts mehr gestohlen. Institutionen, die Herrschaft und Kontrolle über arme Leute ausüben, behaupten, die Augustin-Artikel seien nicht objektiv. Danke für das Kompliment, erwidert die Augustin-Redaktion.

VOR ZEHN JAHREN beschlossen die Gründerinnen und Gründer des Augustin, das Projekt ohne Subventionen aufzubauen. Die üblichen Subventionsgeber waren froh, dass sie nicht belästigt wurden.

BIS HEUTE hat der Augustin keinen Groschen und keinen Cent Subvention bekommen. Die üblichen Subventionsgeber sind besorgt, weil ihnen dadurch die Möglichkeit der Kontrolle und der Einflussnahme entgeht. Viele nennen es wahnsinnig, vor einem offenen Subventionstopf zu flüchten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Wir sind lieber wahnsinnig als abhängig, sagt das Augustin-Team.

VOR ZEHN JAHREN konnte der Augustin den Bedürftigen nichts bieten außer das Verkaufen der Zeitung und das Schreiben für die Zeitung. Die Frauen und Männer des Urgesteins wussten noch nichts von den 1000 Ideen, die in ihren Köpfen schlummerten.

HEUTE sind die ersten dieser Ideen aus den Köpfen ausgebrochen und haben sich in Wirklichkeit verwandelt. Mit der Schreibwerkstatt, der Radiogruppe, dem Chor Stimmgewitter, der Theatergruppe, dem schwarz-weißen Fußballteam und mit dem Anlauf zur Eroberung des Freitag des Dreizehnten ist der Augustin die lebendigste Baracke des Slums, die manischte Abteilung des Irrenhauses, der bunteste Winkel der Grauzone, die vielseitigste Ausgeburt des Randes. Wie das Gesamtkunstwerk Augustin weiter in die Breite wuchert, steht nicht einmal im Augustin-Horoskop.

VOR ZEHN JAHREN mussten Sozialhilfeempfänger, Obdachlose und Flüchtlinge den vollen Preis bei den Wiener Linien bezahlen.

HEUTE müssen Sozialhilfeempfänger, Obdachlose und Flüchtlinge den vollen Preis bei den Wiener Linien bezahlen, obwohl Augustin-Leute zehnmal eine Straßenbahn besetzten. Manchmal fällt auch dem Augustin nicht ein, wie man eine Revolution macht.

Das AUGUSTIN-Team Tel.: 587 87 89