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"Theater muss giftig sein!"

  • Tuesday, 23. August 2005 @ 15:25
Kultur und Bücher Johann Kresnik, Mitglied der KPÖ, im Gespräch über seine Volkstheater-Premiere "Spiegelgrund" und den Amerikanismus.

Wiedergabe eines Interviews, von BARBARA PETSCH - erschienen in der Tageszeitung "Die Presse" am 22.08.2005
Die Presse: Das Thema Spiegelgrund, die Ermordung von Kindern in der Nazizeit, waren heuer bei den Wiener Festwochen. Wie wird sich Ihre Kreation von Christoph Marthalers "Schutz vor der Zukunft" unterscheiden?

Johann Kresnik: Was wir machen, ist etwas ganz anderes. Das war wahrscheinlich wieder so ein halber Liederabend von Marthaler. Bei uns geht es um dokumentarisches Theater, aber auch um Sehnsüchte, Wünsche, Liebe, Verzweiflung, Mord und Totschlag. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht eines Überlebenden. Das für mich Erschütternde ist: Die Gräueltaten vor 1945 weiß man, aber nach 1945 ist das weiter gelaufen. Ärzte und Juristen wurden fast gar nicht verurteilt, bekamen gute Positionen.


Kommt der Arzt Heinrich Gross vor?


Kresnik: Der Name Gross kommt vor. Er tritt auch auf als Figur. Michael Schottenberg hat entschieden, dass wir ihn nennen. Vielleicht wird das Verfahren wieder aufgerollt. Es gibt neues Material aus Moskau.


Was ist heute unwertes Leben?

Kresnik: Alles wiederholt sich, in welcher Form auch immer. Wenn ich schaue, was im Irak oder in Afghanistan passiert oder in anderen Ländern, ist das Thema auf der Welt immer vorhanden. Meiner Ansicht nach muss Theater wieder politischer werden als es jetzt ist. Und es muss giftig sein. Wenn es nicht giftig ist, hat es keinen Sinn.


Für Ihre Choreografie über Ernst Jünger wurden Sie vom Schriftsteller Rolf Hochhuth herb kritisiert, der meinte, mit der Gnade der späten Geburt kann man leicht richten. Wer weiß, wie Sie im Krieg gehandelt hätten.


Kresnik: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, ich hätte wahrscheinlich nicht mitgemacht, aber ich weiß es nicht. Ich habe nicht über Jünger ein Stück gezeigt, sondern über seine Äußerungen, seine Romane. Jünger hat auf die Frage, wie er aus seiner Sicht heute den Nationalsozialismus sieht, geantwortet: Ich würde ihn anders formulieren. Er hat nichts zurück genommen. Das ist der entscheidende Punkt.


Glauben Sie, dass man mit der Darstellung der Ereignisse etwas bewältigen kann?


Kresnik: Auch Brecht konnte mit seinem Lehrtheater nichts bewältigen. Aber man kann das Publikum zum Meinungsaustausch bringen, zur Streiterei. Man kann aufmerksam machen und man muss es tun, solange noch jemand lebt aus dieser Zeit. Theater darf nicht nur eine moralische Anstalt sein, es muss aufregen. In seiner politischen Aussage darf es nie nachlassen. Politiker können die Kunst kritisieren, aber sie dürfen sich niemals einmischen und schon gar nicht bestimmen, was wir machen.


Die Frage stellt sich heute oft gar nicht mehr, weil politische Agitation selten geworden ist am Theater, obwohl es viele neue Stücke gibt.


Kresnik: Ich habe mein choreografisches Theater ausgehend von den 60er und 70er Jahren, der Studentenbewegung entwickelt. Heute wird von den Politikern immer öfter gesagt, die Häuser müssen voll sein. Also werden "Zauberflöte" und "Lustige Witwe" gespielt und alles, was wir sowieso kennen. In neue Stücke gehen die Leute nicht in Massen hinein. Das braucht seine Zeit. Die ganze Situation hat sich auch verändert. 16 Jahre Helmut Kohl, er hat die Universitäten stumm gemacht, es gibt keine politischen Auseinandersetzungen an den deutschen Unis mehr. Jetzt ist Herr Schröder da und die versuchen eigentlich gar nichts, nur Geld einzusparen. Dabei geben sie nur ein Prozent des deutschen Haushalts für Kultur aus! Da sind aber noch Museen, Bibliotheken dabei. Wenn man weiter versucht, die Kultur derart zu reduzieren, geht dieses Subventionstheater-System, das einmalig auf der Welt ist, kaputt. Dann haben wir endgültig den Amerikanismus. Das ist eine Katastrophe für die Kultur Europas.


Sie sind immer Kommunist gewesen . . .


Kresnik: Ja und ich bin es noch. Ich bin auch KPÖ-Mitglied. Aber ich bin nicht so wie man glaubt. Ich war nie für Stalin, Honecker und Konsorten. Mir geht es darum, eine Möglichkeit zu schaffen, unsere Politik und Gesellschaft zu verändern durch die Umverteilung der Werte von oben nach unten. Dieser Kapitalismus wird kaputt gehen. Die Globalisierung macht die armen Länder noch ärmer. Es gibt so viele Menschen, die am Existenzminimum leben, krank sind, Aids haben. Afrika bricht zusammen und keiner kümmert sich darum. Es geht wirklich darum, nachzudenken wie wir weiter leben sollen. Wir müssen umdenken und unabhängig werden von den Amerikanern. Die amerikanische Politik ist unglaublich brutal und hart. Bush und Blair lügen. Es geht um Öl, Macht, Wirtschaft. Sie werden den Iran, Nordkorea bestürmen, sie sind überall, wo etwas zu gewinnen ist.


Wie hat sich das Tanztheater entwickelt? Es wirkt heute oft sehr esoterisch, selbstbezogen.

Kresnik: Die Entwicklung heute ist für mich uninteressant geworden. Der Tanz sperrt sich in seine vier Wände ein, macht irgend was und ein paar Leute schauen zu. Es gibt keinen Mut, kräftige Themen anzupacken, Stücke, die eine Handlung und einen Inhalt haben, etwas erklären. Wir waren geprägt von den 68ern, vom sich Befreien von den Eltern, vom nationalsozialistischen Denken und Handeln. Ich dachte: Warum muss ich immer Dornröschen, Schwanensee machen? Wir haben eigene Themen, die uns betreffen. Da bin ich 'reingegangen.