Willkommen bei KPÖ Wien Tuesday, 28. December 2021 @ 18:43

Das Recht geht vom Volk aus!

  • Tuesday, 22. February 2005 @ 16:39
Europa Die Regierung meint, mit der für Anfang Mai angesetzten Ratifizierung der EU-Verfassung durch das Parlament die Debatte um die EU-Verfassung abschließen zu können. Doch die Kritik an dieser Verfassung und die Forderung nach einer Volksabstimmung bleiben auf der Tagesordnung.

Eine Analyse von KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier Eine Verfassung stellt den Grundbaustein eines demokratischen Staatsrechts dar. In ihr wird geregelt, wer im Staat wofür zuständig ist und wie Gesetze entstehen. Die Verfassung definiert die individuellen und kollektiven Grundrechte im Verhältnis zum Staat und setzt dem staatlichen Handeln gegenüber den Einzelnen Grenzen. In kapitalistischen Staaten spiegeln Verfassungen nicht nur die aktuellen Kräfteverhältnisse sondern auch die sozialen und politischen Kämpfe der Vergangenheit wider. Sie sind deshalb immer ein Hinweis auf den herrschenden Standard der Demokratie. Die Verabschiedung einer neuen Verfassung stellt somit keine Kleinigkeit dar.


Die Verabschiedung einer Verfassung der Europäischen Union zeigt an, dass die EU immer mehr den Charakter eines klassischen Macht-Staates annimmt. Die Art, in der sich die EU diese Verfassung gibt, ist ein Indiz für ihren demokratischen Standard. Wurde über die Perspektive der EU je eine demokratische Debatte geführt? Wurden die Menschen je gefragt, ob sie in einem EU-Superstaat a la USA leben wollen - mit eigener Armee, Polizei, aber ohne beispielsweise europaweit gültige Sozial- und Umweltstandards?


Juristisch bedeutet eine EU-Verfassung, dass der österreichischen Verfassung ein Grundgesetz der Europäischen Union im wahrsten Sinn des Worts vorgesetzt wird. Dort wo österreichische und EU-Verfassung einander widersprechen, besitzt das EU-Recht den Vorrang. Durchaus denkbar also, dass das NS-Verbotsgsetz demnächst auf Grund des Spruches eines EU-Gerichts aufgehoben werden muss.


Im Artikel I. der österreichischen Verfassung heißt es: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Man könnte annehmen, dass eine einschneidende Veränderung der Verfassung wie ihre Unterordnung unter eine andere, erst nach ausführlicher Information der Bevölkerung, breiter Erörterung und abschließend einer demokratischen Willensbildung, sprich einer Volksabstimmung, erfolgt. In Österreich wäre eine Volksabstimmung nach Meinung von führenden Verfassungsrechtlern sogar zwingend vorgeschrieben, handelt es sich bei ihrer Annahme doch um eine „Gesamtänderung“ der österreichischen Bundesverfassung.


Mit der Herausgabe eines kritisch kommentierten Gesamttextes der EU-Verfassung wollen wir den in unseren Kräften stehenden Beitrag zur Information der Öffentlichkeit leisten. Vor allem wollen wir zeigen, dass es aus inhaltlichen Gründen ein demokratisches Mindesterfordernis ist, die Zustimmung zu einer EU-Verfassung an eine Volksabstimmung zu binden.


Wenn in der Demokratie alles Recht vom Volk aus geht, so hat niemand anderer als die Bevölkerungen, also alle in der EU lebenden Menschen, das Recht, eine Verfassung zu beschließen.


Im Gegensatz zu anderen Ländern haben sich die österreichischen Parlamentsparteien dazu entschlossen, den demokratischen Weg einer Volksabstimmung nicht zu gehen, sondern Anfang Mai in eigener Machtvollkommenheit im Parlament zu entscheiden. Allerdings irren sie, wenn sie meinen, damit das Thema vom Tisch zu haben. Wann und ob diese EU-Verfassung nämlich in Kraft treten kann, hängt von einem Ja in allen 25 EU-Mitgliedsstaaten ab, und das wird ein langer und mühseliger Prozess werden. Grundsätzlich können in Österreich Volksabstimmungen über alle vom Parlament beschlossenen Gesetze abgehalten werden. Die Forderung nach Volksabstimmung bleibt daher, wie absehbar ist, noch sehr lange aktuell, weil bis zum In-Kraft-Treten der EU-Verfassung noch viel Wasser die Donau, den Rhein und die Maas hinunterfließen wird.


Mit dem Aufbau einer EU-Militärstreitmacht, der Zusammenfassung der Rüstungspolitiken der EU-Mitgliedsstaaten und eines langfristigen Aufrüstungsprogramm, das durch die Verfassung (!) festgeschrieben wird, wird der letzte Rest österreichischer Neutralität, die in den vergangenen Jahren systematisch abgewertet und rechtlich immer weiter eingeschränkt wurde, zerstört. Es gilt darauf hinzweisen, dass dafür alle im Parlament vertretenen Parteien Verantwortung tragen.


Die demokratische Selbstbestimmung wird durch die EU-Verfassung wesentlich eingeschränkt. Sie ist keineswegs unparteisch gegenüber den unterschiedlichen Optionen demokratischer Politik abgefasst ist, sondern schreibt den Kapitalismus als solchen und seine neoliberale Variante (beschönigend als „freie Marktwirtschaft“ umschrieben) grundgesetzlich fest. Muss man also damit rechnen, dass künftig Kritik an Neoliberalismus und Kapitalismus außerhalb der Verfassung steht?


Aus diesen und anderen guten Gründen hat sich die Europäische Linke, die auf europäischer Ebene gegründete gemeinsame Organisiation von mehr als einem Dutzend linker Parteien auf dem Kontinent, zu einem Nein zu diesem Verfassungsentwurf entschlossen. Dabei handelt es sich um Nein aus einer demokratischen, einer friedenspolitischen, feministischen und sozialen Perspektive. D.h. es handelt sich nicht um ein nationalistisches Nein, sondern ein um europäisches und ein internationalistisches Nein zum Europa der Konzerne und Generäle.


Mit der kontinentweiten Ablehnung dieses Verfassungsentwurfes durch die Linke und der Mobilisierung dafür, ihn zum Scheitern zu bringen, ist die Debatte um die Alternative eines anderen Europa als das der Konzerne und des Militarismus eröffnet. Die KPÖ, die mit ihrem letzten Parteitag eines neues Kapitel ihrer Geschichte aufgeschlagen hat, beteiligt sich an dieser internationalen Debatte und den Kämpfen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, ein anderes Europa zu verwirklichen.