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Fortschrittskoalition? Teil 4: Transparenz statt Demokratie?

  • Wednesday, 9. December 2020 @ 10:53
In diesem Kapitel des Regierungsprogramms finden sich diverse sinnvolle Vereinbarungen, doch wir wollen mit dem Negativen beginnen.

Mehr als 50x kommt im Regierungsprogramm das Wort Demokratie zwar vor, doch die zentralen, brennenden Fragen werden gekonnt ausgeklammert.

Obwohl in Wien aktuell fast 500.000 Menschen, die hier leben, arbeiten und Steuern zahlen (rund 30% Prozent), vom Wahlrecht zum Gemeinderat ausgeschlossen sind, wird im Koalitionsabkommen nur festgehalten: "Die Fortschrittskoalition setzt sich auf Bundesebene für eine Gleichstellung von Unionsbürger_innen beim Wahlrecht auf Landesebene ein." ?

Warum, wie z.B. in Graz, nicht auch in Wien endlich ein MigrantInnenbeirat installiert wird, bleibt unbeantwortet. Der MigrantInnenbeirat in Graz wird in direkter und geheimer Wahl von den in Graz lebenden Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Ländern - immer gleichzeitig mit dem Grazer Gemeinderat - für 5 Jahre gewählt.*

Auch von einer Demokratisierung des Wahlrechts (jede Stimme zählt gleich viel bei der Mandatsverteilung) und einer Neugestaltung der Aufbringung der Unterstützungserklärungen, mit welcher offenbar vor allem Konkurrenz verhindert werden soll, keine Rede.? Auch beim Thema der nicht amtsführenden Stadträt_innen, die den Steuerzahler*innen pro Jahr mehr als 1,2 Millionen Euro kosten, bleibt es bei einer Beteuerung ohne Folgen: "Die Fortschrittskoalition spricht sich für eine Abschaffung des Proporzsystems bei der Bestellung des Wiener Stadtsenats und somit für eine Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträt_innen aus." Warum, Herr Bürgermeister, Herr Wiederkehr, beschließt Wien nicht einfach die Reduzierung des Gehalts auf 1.000 Euro im Monat?

Löblich ist, dass es in Zukunft bei Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze Sanktionen geben wird und progressiv gestaffelte Strafzahlungen vorgesehen sind (Seite 209ff). Zusätzlich werden alle Parteien verpflichtet, schon 1 Woche vor der Wahl "alle Einnahmen, Ausgaben und getätigte Beauftragungen (= geplante Ausgaben/Aufwände) im Zuge des Wahlkampfes auf der jeweiligen Parteiwebseite offen zu legen und dies dem Stadtrechnungshof zu melden". Interessant auch, dass vereinbart wurde, die Valorisierung der Wiener Parteienförderung in den Jahren 2021/2022 auszusetzen.

Mehr Transparenz auch auf Bezirksebene - aber keine Reform der Stadtverfassung

Die Geschäftsordnung der Bezirksvertretungen soll "mit einem Fokus auf mehr Transparenz und Partizipation" reformiert werden. U.a. soll es zukünftig eine "schriftliche Begründung bei Nichtzulassung von Anträgen" geben und Anträge und Anfragen an die Bezirksvertretung bzw. die Bezirksvorsteher_innen sollen im Internet veröffentlicht werden. Das dies im Jahr 2020 nicht üblich ist, spricht für sich.

Auch erfreulich: "Die Liveübertragung von Sitzungen der Bezirksvertretungen wird optimiert und in möglichst vielen Bezirken implementiert. Die Sitzungen der Bezirksvertretungen werden in einer Mediathek on demand zur Verfügung gestellt." Und ebenfalls begrüßenswert: "In den Bezirksvertretungen wird das neue Instrument der Bürger_innenfragestunde eingeführt: bei Beginn der Sitzung sollen Bürger_innen die Möglichkeit haben, vorangemeldete Fragen an die Bezirksvorsteher_in zu stellen."

Keine Rede ist jedoch davon, die total antiquierte Stadtverfassung zu reformieren. In dieser Stadtverfassung finden sich Absurditäten wie folgende: die jeweils stärkste Fraktion im Bezirk hat die Möglichkeit einen Vorschlag für das Amt des Bezirksvorstehers und für den ersten Stellvertreter der/des Bezirksvorsteherin/Bezirksvorstehers zu unterbreiten. So weit, so gut. Dass der Bezirksvorsteher laut Stadtverfassung dann aber nur 50 % der Stimmen der eigenen Fraktion benötigt, um gewählt zu sein, ist jedoch mehr als diskussionswürdig. Und diskussions- und veränderungswürdig ist sicherlich auch, dass laut Stadtverfassung gewählte Bezirksvertretungen so gut wie keine Mitsprachemöglichkeiten im Sozialbereich haben.
Der Bereich der Korruptionsbekämpfung soll, so verkünden SPÖ und NEOS, "auf neue institutionelle Beine gestellt und ein Hinweisgeber_innensystem eingerichtet" werden. "Die Einrichtung eines EDV-gestützten Systems zur anonymen Eingabe von Hinweisen über Korruption im Bereich des Magistrats der Stadt Wien (Whistleblower-Plattform)" wurde vereinbart.

Bzgl. Untersuchungskommissionen soll das Einsetzungsquorum "auf ¼ der Mandatar_innen" herabgesetzt werden, auch die "vorzeitige Beendigung der Untersuchungskommission bzw. des Untersuchungsausschusses bedarf der Zustimmung der Einsetzungsminderheit. Eine einmalige Verlängerung um drei Monate (auch durch die Einsetzungsminderheit) wird ermöglicht".

Ebenfalls löblich: Bei Bezirksbefragungen sollen "alle Einwohnerinnen und Einwohner" teilnahmeberechtigt sein - wobei festzuhalten ist, dass dies in einigen Bezirken auch jetzt schon so gehandhabt wurde - und bei zugelassenen Petitionen wird zukünftig verpflichtend "ein_e Vertreter_in in jedem Fall zur Aussprache in den Petitionsausschuss eingeladen."

Unser Resümee: viele löbliche kleinere Maßnahmen, bei den großen Brocken "Wahlrecht für alle" und Demokratisierung des Wahlrechts wird aber auch in den kommenden 5 Jahren, sofern es nach der Stadtregierung geht, nichts passieren.

* https://www.graz.at/cms/beitrag/10025..._Graz.html